Der Sohn des Haeuptlings
Arme vor der Brust. Dabei verneigte sie sich. „Ich grüßen große Sohn von Häuptling.“
Tesu wußte nicht recht, was er sagen sollte. Einerseits schien diese schwarze Person ganz manierliche Umgangsformen zu besitzen, andererseits hatte er ihr mit seinem Tomahawk offensichtlich einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Was war da zu machen? Tesu überlegte nicht lange und sagte einfach: „Ho!“ Das verpflichtete zu rein gar nichts.
„Ho“, antwortete Jenny. Sie hatte keine Ahnung, was das bedeutete, aber sie wollte ja ganz besonders höflich sein.
„Wer bist du?“
„Ich sein Jenny —“
„Was heißt Jenny?“
„Jenny heißt Jenny, großer Sohn von große Häuptling.“
„Gut. Aber was machst du? Was tust du hier?“
„Ich sein schwarze Dienerin von Mister Webster.“
„Dann gehört dieses Haus dem ,Weißen Bruder’?“
„Du nicht sagen ,Weißer Bruder’. Nix hier sagen so. Du müssen sagen Mister Webster“, wagte Jenny zukorrigieren.
„Uff!“ Tesu war erstaunt. Die Umgangsformen dieser Jenny schienen doch einige Lücken zu haben.
„Nicht sein böse mit Jenny. Aber ich wollen helfen große Sohn von große Häuptling. Auch ich sein gekommen von anderes Volk und anderes Land. Vieles ich habe müssen lernen. Auch große Sohn von große Häuptling wird müssen lernen vieles.“ Jenny machte ganz große, treue Augen.
Tesu überlegte.
Es war gar nicht so dumm, was die schwarze Person da gerade gesagt hatte. Sein Vater hatte ihn ja in dieses fremde Land geschickt, damit er hier Augen und Ohren aufmachte. Und wenn ihm schon jemand sagen mußte, daß er das oder jenes falsch machte, dann war ihm eine Schwarze wie Jenny lieber als alle anderen. Wenn ihn zum Beispiel ein Kerl wie dieser Pennyfull korrigiert oder ausgelacht hätte, wäre das unerträglich für ihn gewesen.
„Gut, ich sage in Zukunft Mister Webster zu dem weißen Bruder.“
Jenny strahlte. „Große Sohn von große Häuptling sein klug.“
Tesu mußte lächeln.
„Du wirst dir noch die Zunge brechen mit deinem große Sohn von große Häuptling. Sag einfach Tesu zu mir.
„Jawohl, Mister Tesu“, erwiderte die Schwarze. „Und für Sie ich bin Jenny.“
„Einverstanden“, antwortete Tesu.
„Mister Webster sagen, daß Sie zwei Tage und zwei Nächte nicht haben geschlafen und nicht essen, und daß —“
In diesem Augenblick fiel ihr ein, wie Mister Webster vor allem darauf hingewiesen hatte, daß der Junge vermutlich einen Mordshunger hatte, und daß er mit seinem eigenen Frühstück auf Tesu warten würde.
„Oh, ich sein eine ganz dumme Gans“, unterbrach sich Jenny, verdrehte wieder einmal ihre weißen Augäpfel und sprang auf. „Ich schwätzen nur durcheinander, und Sie Hunger haben.“ Sie rannte durchs Zimmer, öffnete eine schmale weiße Tür und verschwand für einen Augenblick. Tesu richtete sich auf und lehnte sich so weit aus dem Bett, daß er eine große, grüngekachelte Badewanne erkennen konnte. Jenny hatte sich nach vorne gebeugt, und gleich darauf war das Rauschen von Wasser zu hören. Die Schwarze regulierte die Temperatur, legte Seife und ein großes Badetuch bereit. Anschließend lief sie zum Fenster, riß den Vorhang auseinander und ließ die Sonne herein. Dann wandte sie sich zum Gehen.
„Mister Webster und, ich glaube, auch seine Frau warten mit Frühstück“, meinte sie. „Ich in fünf Minuten wiederkommen und zeigen Tesu, wo das sein.“
An der Tür blieb Jenny stehen. Und zwar dicht vor dem Tomahawk, der dort ja immer noch in der Türfüllung steckte. Sie faßte seinen Griff mit beiden Händen und mußte ihre ganze Kraft aufwenden, um ihn aus dem Holz zu ziehen.
„Nix guttt“, wagte sie noch festzustellen und legte Tesus Kriegsbeil behutsam in den großen Lehnsessel.
Draußen stieß Jenny beinahe mit Mister Webster zusammen. Es war sonst wirklich nicht seine Art, andere Leute zu belauschen. Aber im Falle von Tesu war das so etwas wie Notwehr gewesen.
Jenny wollte etwas sagen, aber Mister Webster hielt ihr sofort den Mund zu. Er schlich zur Treppe und winkte sie zu sich. Erst unten im Korridor ließ er Jenny zu Wort kommen.
„Dieser Tesu sein guter Junge, Mister Webster.“
„ — und du bist ein Engel, Jenny!“ antwortete der Hausherr. Dabei holte er eine dicke Brasilzigarre aus seiner Rocktasche und überreichte sie ihr.
„Jetzt das Frühstück. Mach den Kakao so süß wie möglich!“
Mister Webster war in bester Stimmung. Er rieb sich die Hände und rannte über den
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