Der Sohn des Haeuptlings
nach Berlin“, stellte Mister Webster fest und knallte wieder einmal seine Hände ineinander. Anschließend beugte er sich an seinem Glas mit dem Orangensaft vorbei zu Tesu über den Tisch. „Jetzt kann ich’s dir verraten. Wenn du nicht gesagt hättest, daß du mitkommst, hätte ich den Burschen im Außenministerium einfach durchtelegrafiert, daß sie sich Berlin an den Hut stecken könnten, soweit es mich betrifft.“ Er paffte eine Zigarrenrauchwolke unter den zitronengelben Sonnenschirm und stand auf. „Da wir uns jetzt aber entschlossen haben, ist keine Minute mehr zu verlieren. Die nächsten zwei Wochen sind kein Honiglecken. Ihr werdet euch noch wundern, wie wir durch die Gegend rotieren!“
„Dabei hat Tesu bisher nur unser Haus und den Garten gesehen“, bemerkte Mrs. Webster, „noch keinen Meter von der Stadt.“
„Du wirst ihm alles zeigen“, erwiderte Mister Webster. „Dazu bleibt noch genug Zeit.“
„Und wir müssen ihn total neu einkleiden“, fuhr Mrs. Webster besorgt fort. „Mit seinen indianischen Sachen kann er doch nicht nach Europa. Ganz abgesehen davon, daß es in Deutschland genauso kalt sein soll wie in Sibirien.“
„Das stimmt nicht“, entgegnete der Hausherr. „Aber einkleiden müssen wir dich, Tesu, das ist leider nicht zu ändern.“
„Und dann ist Berlin doch wie Peking oder Guatemala“, gab Mrs. Webster noch zu bedenken. „Da spricht doch kein Mensch englisch.“
„Dann lernt ihr beide eben Deutsch“, konterte Mister Webster lachend. „Ich werde das gleich in die Hand nehmen.“ Unmittelbar darauf rief er: „Pennyfull, packen Sie meine Koffer für zwei Tage Washington und New York. Aber zuerst verbinden Sie mich mit diesem verdammten Füller im Innenministerium!“
Ein paar Stunden später hing Mister Webster bereits zwischen den Wolken und las die Zeitung, während sein Flugzeug auf dem Weg nach Washington war.
Zur selben Zeit öffnete in der schneeweißen Villa in
Chicago Pennyfull einem jungen Mann von etwa vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren die Tür zum Wohnzimmer. Er hatte semmelblondes Kraushaar und rund um die Nase lauter winzige Sommersprossen.
„Mister Langhans“, meldete Pennyfull sehr förmlich. Dabei stolperte seine Zunge ein wenig über den ungewohnten deutschen Namen.
Mrs. Webster meinte, daß sie sehr erfreut sei, und Pennyfull zog sich wieder diskret zurück.
„Sie sind also der junge Lehrer, den die deutsche Botschaft meinem Mann empfohlen hat“, sagte Mrs. Webster. „Darf ich Ihnen Tesu vorstellen. Wir sprechen beide noch keine Silbe Deutsch und haben nur vierzehn Tage Zeit.“
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber Ihr Gatte hat mich noch persönlich angerufen, und ich weiß Bescheid“, erwiderte Mister Langhans höflich und in perfektem Englisch. „Verlieren wir also keine Zeit und fangen wir sofort an!“
„Ihr Tempo ist erstaunlich“, bemerkte Mrs. Webster.
„Guten Morgen“, sagte Mister Langhans in Deutsch.
„Wie bitte?“ fragte Mrs. Webster englisch zurück.
„Good morning heißt in Deutsch guten Morgen“, erklärte der junge Mann mit den lustigen Sommersprossen um die Nase.
„Guten Morgen“, wiederholten Mrs. Webster und Tesu gemeinsam.
„Das klappt ja ganz fabelhaft“, lobte der junge Herr Langhans.
Und schon eine knappe Minute später sagten Mrs. Webster und der Sohn des Häuptlings wie im Chor: „Guten Abend“ und gleich darauf: „Wie geht es Ihnen?“
Eine Völkerwanderung bahnt sich an
Bad Rittershude stand inzwischen mehr oder weniger köpf.
Seit der Auslosung im Fernsehen sprach man in den Straßen, Geschäften, auf dem Markt, im Kurpark und auch im Rathaus eigentlich nur noch von dem Pokalspiel am kommenden Sonntag im Olympiastadion.
„Die ganze Stadt will dabei sein“, verkündeten die Bad Rittershuder Nachrichten heute auf der ersten Seite.
Und dieses Mal hatte Chefredakteur Kubatz tatsächlich nicht übertrieben.
Das Verkehrsamt bestellte in der Kreisstadt schon den zwölften Omnibus, und die Bundesbahn hatte zwei Sonderzüge versprochen.
Fast sämtliche Hausfrauen nähten blau-gelbe Fahnen. In den Zeichensälen und sogar in den Korridoren der Schulen wurden mit Erlaubnis der Direktoren Transparente bemalt und zusammengestellt. Die Schlagworte reichten vom harmlosen „Bad Rittershude grüßt München“ über „Vor, vor, noch ein Tor“ bis zu dem fast kriegerischen, „Sieg! Sieg! Sieg!“. Eine Niederlage hatten die Verfasser der Transparentaufschriften
Weitere Kostenlose Bücher