Der Sohn des Haeuptlings
der silbernen Dose, die sonst auf seinem Schreibtisch stand. Eine der beiden Zigarren legte er vor Tesu auf das Tischtuch.
„Du brauchst sie nicht ganz zu rauchen, wenn sie dir nicht schmeckt und wenn du vielleicht überhaupt noch nie geraucht hast. Aber wenigstens einen Zug solltest du nehmen. Ich möchte nämlich hier in unserem Lande mit dir Begrüßung feiern. Du bist der Sohn des Apachenhäuptlings und jetzt auch ein Krieger. Also gehört zu unserer Begrüßung eine Friedenspfeife.“
„Wie es mein weißer Bruder wünscht.“ Plötzlich sagte Tesu nicht mehr ,Mister Webster’. Vermutlich war ihm der Anlaß zu feierlich für eine so gewöhnliche Anrede.
Dazu nickte Tesu ernsthaft. Er war also durchaus einverstanden. Da fiel sein Blick auf Mrs. Webster, die Frau von Mister Webster. Sie hatte sich inzwischen eine Sonnenbrille aufgesetzt.
„Mein weißer Bruder weiß“, Tesu stockte. Er war jetzt beinahe etwas verlegen. Er fand diese Mrs. Webster im Grunde ja ganz nett. Aber leider waren gewisse Dinge nun einmal nicht zu ändern. Und wenn er schon bereit war, eine Zigarre als Ersatz für eine Friedenspfeife hinzunehmen, dann mußten wenigstens die übrigen Spielregeln einer solchen Zeremonie eingehalten werden. Tesu nahm also einen erneuten Anlauf und sagte jetzt, was gesagt werden mußte. „Mein weißer Bruder weiß, daß die Pfeife der Freundschaft nur unter Männern geraucht wird —“
Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als hätte Tesu den Hausherrn daran erinnern wollen, daß Mrs.
Webster jetzt eigentlich ganz und gar überflüssig sei. Frauen gehörten ins Wohnzelt. Wenn sich Krieger zusammensetzten, hatten sie sich gefälligst dünne zu machen.
Mister Webster überlegte eine Weile und blickte jetzt zu der amerikanischen Flagge hinauf, die sich nur gelegentlich müde bewegte. Es war heute fast windstill.
„Paß mal auf, Tesu“, Mister Webster legte jetzt auch seine Zigarre vorerst wieder auf den Tisch. „Das Volk der Apachen ist nur eines der vielen Völker, die es auf unserer Welt gibt. Und so wie die Apachen haben auch andere Völker ihre eigene Sprache, eine besondere Art, wie sie sich kleiden, und eigene Gesetze, unter denen sie leben. Und so, wie wohl kein vernünftiger Mensch auf die Idee kommt, zu behaupten, alle Rothaarigen sind dumm, oder jeder, der Sommersprossen hat, ist gescheit, genauso töricht wäre es zu sagen, die Apachen zum Beispiel seien nur gut oder die Amerikaner nur schlecht oder umgekehrt. Kein Volk ist schlechter oder besser als das andere. Wir sind alle gut und schlecht zugleich. Es ist nur wichtig, daß das Gute in uns allen stärker ist. Und da kommt es dann auf den einzelnen an. Nämlich ob ich, Mister Webster, ein einigermaßen erträglicher Zeitgenosse bin, oder ob du, Tesu, ein einigermaßen guter Kerl bist. Ja, und dann auch, ob deine Mutter Wah-ta-Wah gut ist, und ob meine Frau, Mistress Webster, versucht, ein passabler Mensch zu sein.“
Mister Webster hatte ein gutes Gefühl dafür, welche Dinge Zeit brauchten und welche schnell und im Handumdrehen erledigt werden konnten. Eigentlich saß er ja wie auf glühenden Kohlen, weil eine Menge Telefonate und Briefe auf ihn warteten. Aber dafür würde er später einfach einen Zahn zulegen.
Im Augenblick war der Sohn seines Freundes Kuguah wichtiger als alles andere. Und deshalb spielten jetzt Zeit und Termine auch keine Rolle.
Mister Webster sprach schon eine gute Stunde lang, und Tesu war ein aufmerksamer Zuhörer.
Als ein Flugzeug über den Garten hinwegflog und einen weißen Wolkenschweif am Himmel hinter sich ließ, war Mister Webster gerade dabei, schließlich zu erklären, daß hier in diesem Lande so ziemlich jeder Mann und jede Frau, wenn sie es wollten, ihren Beruf hätten, und daß keiner dieser Berufe erniedrigend sei. Auch nicht das Schuhputzen, Straßenfegen oder Tellerwaschen. Bei jeder Art von Arbeit seien die Menschen frei und vor dem Gesetz alle gleich. Genauso wie die Krieger der Apachen.
„Nur daß es bei uns keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern gibt“, meinte Mister Webster schließlich.
Er hatte das Gespräch ganz behutsam geführt, um Tesu nicht zu überfordern und auch nicht zu verletzen. Aber aus den gelegentlichen Fragen des Jungen und aus seinen Blicken spürte Mister Webster immer mehr, daß sich seine Geduld lohnte und daß der Junge immer mehr Vertrauen zu ihm faßte.
Zwischendurch war im Haus immer wieder das Telefon zu hören gewesen. Aber es hatte dann
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