Der Sohn des Haeuptlings
nicht in Erwägung gezogen.
Die Konditorei Wiegel in der Werderstraße hatte das Wappen des FC Bad Rittershude aus Marzipan nachgebildet in ihr Schaufenster gestellt, Herr Bemmelmann zeigte, von seinen Zigarrenkisten umrahmt, ein Foto der hiesigen Fußballmannschaft, das anläßlich der letzten Weihnachtsfeier aufgenommen worden war. Vater Treutlein hatte ein Bild vom Olympiastadion an die Tür seines Frisörsalons geklebt, und Petzold, das Haus der Stoffe, zeigte in seiner Dekoration für diese Woche nur die Stadtfarben Gelb und Blau. Im übrigen hatte die Geschäftsleitung im Handumdrehen die Produktion von Vereinswimpeln anlaufen lassen und verkaufte sie im Sonderangebot für drei Mark das Stück.
Bad Rittershude war hoffnungslos vom Fußballfieber gepackt, und alle Einwohner hatten sich inzwischen gegenseitig angesteckt.
Selbst in Erikas Milchbar gab es seit Sonntag Mixgetränke, die sich „Volltreffer“ nannten oder „Fallrückzieher“.
„Es ist ein wenig idiotisch“, entschuldigte sich Frau Bandel, „aber als Geschäftsfrau muß ich mit allen Wassern gewaschen sein.“
„Hauptsache, der Umsatz steigt“, kicherte Frau Kalender, die Frau des Polizeimeisters. Sie hatte nachmittags eine Kaffee-Einladung und ließ sich gerade einen Liter Schlagsahne geben.
„Na, dann probier’ ich mal Ihren ,Volltreffer’ , wenn Sie die Hände frei haben“, meinte ein Mann mit roten Haaren und etwas abstehenden Ohren höflich.
„Ich bin gleich soweit“, rief Frau Bandel und fragte im selben Atemzug Frau Kalender, ob sie mit ihrem Mann auch nach München fahren würde.
„Aber selbstverständlich“, erwiderte die Frau des Polizeimeisters. „Und Sie?“
„Ich mach’ auch meinen Laden dicht“, meinte die Besitzerin der Milchbar. „Aber was Sie vielleicht nicht für möglich halten“, fügte sie hinzu, „auch der Professor will dabei sein. Das sei ja geradezu Bürgerpflicht, hat er gesagt und für uns beide zwei Karten für den Frühzug bestellt. So kommen wir vielleicht mittags noch zum Glockenspiel auf dem Marienplatz zurecht.“
„Wir nehmen auch die Bahn“, bemerkte Frau Kalender. „Da kann man während der Fahrt hin und her gehen und sitzt nicht so eingeklemmt wie im Omnibus.“ Sie bezahlte ihre Schlagsahne und meinte im Weggehen noch kopfschüttelnd: „Daß der Professor mitkommt, finde ich einfach prima.“
„Und jetzt zu Ihnen“, sagte Frau Bandel anschließend. „Sie wollen wohl Stammkunde bei mir werden?“
„Ja, ich bin schon zum drittenmal hier“, erwiderte der Rothaarige. „Und ich glaube, ich hab’ mich auch schon
vorgestellt. Müller ist mein Name — einfach nur Müller.“
„Alter deutscher Adel“, sagte Frau Bandel lachend. Dabei schüttete sie Milch in einen Mixbecher.
Rechtsanwalt und Notar Dr. Semmelroth führte inzwischen von seiner Kanzlei aus ein Ferngespräch.
Er war damit beauftragt worden, die Verhandlungen mit dem Deutschen Fußballbund und dem FC Bayern zu führen. So etwas verlangte Fingerspitzengefühl und juristische Fachkenntnis.
Im Augenblick ging es um die Eintrittskarten. „Na, an welche Zahl denken Sie denn?“ fragte der Kassenwart aus Bayern durchs Telefon. „Ich meine, wie viele brauchen Sie denn?“
„Ich fürchte, mindestens zehntausend“, wagte Dr. Semmelroth zu antworten.
„Fürchten Sie’s nicht, hoffen Sie es“, erwiderte der Mann aus Bayern und wollte sich vor Lachen fast auskugeln. „Das Stadion hat über 80 000 Plätze und steht ganz zu Ihrer Verfügung. Denn Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, daß sich wegen Ihrer Provinzmannschaft auch bloß ein einziger Münchner die Schuhe anzieht!“
„Also vorerst zehntausend“, sagte Dr. Semmelroth frostig und legte auf. Dann bemerkte er zu seiner Sekretärin noch: „Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall“ und ließ sich mit Herrn Kubatz verbinden.
„Skandalös“, beurteilte der Chefredakteur das Verhalten des bayerischen Kassenwarts, als ihm Dr. Semmelroth Bericht erstattet hatte.
„Jawohl, skandalös“, wiederholte Dr. Semmelroth. „Das ist das richtige Wort!“
„Aber die Bayern werden sich noch wundern“, knurrte der Chefredakteur.
Am Nachmittag kurvte Herr Kubatz zusammen mit seinem Redakteur Hildesheimer und einem jungen Fotografen, der sich hinter die Sitze geklemmt hatte, zum Fußballplatz.
Herr Kliemann, dem die Tankstelle bei den Lagerhallen gehörte und der früher beim FC Rittershude zwanzig Jahre lang als Mittelstürmer gespielt hatte, scheuchte seine
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