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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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wenigstens einen Eindruck bekommst.“
    Sie fingen bei den Makropoden, Prachtbarben und Zahnkarpfen an. In jedem Raum waren gedämpfte Lautsprecherstimmen zu hören, die erklärten, was jeweils hinter den dicken Glasscheiben zu sehen war.
    „Die Auf- und Abbewegung im Wasser ermöglicht die mit Luft gefüllte Schwimmblase in der Mitte des Fischkörpers ...“
    Nach einem riesigen Bassin mit zwei Blauhaien machten sie Schluß.
    Für die Mittagszeit hatte Mrs. Webster nämlich noch eine Bootsfahrt über den Fluß und den See vorgesehen. Jetzt hatte Tesu zum erstenmal vom Wasser her eine Ansicht der Stadt und der langen Reihe der Wolkenkratzerbauten, die direkt am Strand dicht nebeneinanderstanden.
    Als sie wieder ans Land zurückkamen, trennten sie sich.
    Tesu sollte in einem Taxi für die erste Anprobe zu Marshall Field u. Co fahren, während Mrs. Webster wegen einer Dauerwelle zum Frisör wollte und zu ihrer Schneiderin in der North Michigan Avenue.
    Pennyfull hatte sich heute entschuldigt, weil er vor der Reise mit der Limousine in die Werkstatt mußte.
    „Ich finde es ganz gut, daß du dich einmal selbständig machst“, meinte Mrs. Webster. Sie wartete, bis Tesu in sein Taxi geklettert war. „Also bis zum Abendessen!“ rief sie noch durch das heruntergelassene Fenster hinter ihm her.
    Die Anproben waren bereits vorbereitet und schnell erledigt, so daß Tesu schon eine knappe Stunde später aus der Stadt zurückkam. Er bezahlte sein Taxi vor der Einfahrt und schlenderte zuerst über den Gartenweg und dann quer über den Rasen zu der weißen Villa.
    Die Tür von der ebenerdigen Terrasse zu den Wohnräumen stand offen, und als Tesu nach Jenny suchen wollte, war die Küche genauso leer wie die anderen Zimmer. Lediglich ein Zettel lag auf dem Tisch: „Bin Einkaufen, Jenny.“
    Es schien wirklich niemand im Haus zu sein.
    Tesu stieg über die Treppe zum ersten Stock und wollte dort gerade in den Korridor einbiegen, als er unvermittelt stockte und stehenblieb. Sein Zimmer lag etwas seitlich und hinter einem Mauervorsprung. Die Tür war also teilweise verdeckt. Trotzdem glaubte Tesu eine Gestalt gesehen zu haben, die haargenau in diesem Augenblick in sein Zimmer gehuscht war.
    Tesu duckte sich und schlich vorsichtig weiter in den Korridor hinein.
    Trotz der nagelneuen Kleidung von Marshall Field u. Co fühlte er sich schlagartig wieder in die Wälder seines Stammes und in die Prärie zurückversetzt. Nur die Schuhe störten ihn. Im Handumdrehen waren sie von den Füßen.
    Wie eine Katze pirschte sich Tesu an sein Zimmer heran. Die Tür war nur angelehnt. Tesu schlich sich näher und näher. Jetzt stand er so dicht vor der Schwelle, daß er durch einen schmalen Spalt ins Innere sehen konnte. Und über das, was er jetzt erblickte, war der Junge eigentlich gar nicht so sehr erstaunt.
    In dem Zimmer durchwühlte ein Mann in offensichtlicher Eile Tesus Reisetaschen. Er warf alles, was ihm in die Hände kam, wie Kraut und Rüben um sich herum. Bis er anscheinend endlich gefunden hatte, was er suchte. Der Mann richtete sich auf.
    Tesu öffnete die Tür und trat ins Zimmer.
    „Guten Tag, Mister Pennyfull“, sagte er.
    Pennyfull drehte sich blitzartig um die eigene Achse. Er riß die Augen auf und war kreideweiß im Gesicht.
    Diesen Augenblick nützte Tesu. Wie ein Panther sprang er zur Seite. Dort lag sein Tomahawk neben dem Kopfputz.
    Aber mittlerweile hatte sich Pennyfull von seinem ersten Schreck erholt. Als der Junge ihm nur für den Bruchteil einer Sekunde den Rücken zuwandte, rannte er los. Trotzdem zu spät.
    Denn schon hatte Tesu zu einem zweiten Sprung angesetzt und landete genau zwischen Pennyfull und der Tür. Er hielt seinen Tomahawk mit der rechten Faust in Schulterhöhe und blitzte dem Dieb mit seinen hellblauen Augen drohend ins Gesicht.
    Da fiel Pennyfull das Herz in die Hose. Er erinnerte sich jäh an Jennys Bericht von ihrem allerersten Besuch im Zimmer des Häuptlingssohnes, und wenn er an Tesu vorbeiblickte, konnte er ja heute noch die Kerbe in der Holzverschalung der Tür sehen. Dieser Bursche würde es wirklich fertigbringen, ihn kaltblütig zu skalpieren. Wenn auch die Zeitungen immer wieder versicherten, daß so etwas bei den heutigen Indianern inzwischen aus der Mode gekommen sei, so war er sich dessen in diesem Augenblick keinesfalls so ganz sicher.
    „Seien Sie doch vernünftig, Mister Tesu, ich — ich — ich wollte ja nur — nur — hier Ordnung machen“, stotterte Pennyfull.
    „Ordnung

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