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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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noch sprechen.“
    „Paschulke“, meldete sich der Page ein wenig förmlich. „Womit kann ich dienen?“
    „Du sei mal nicht so stinkvornehm, du Schurke“, meinte Frau Bandel lachend, und Fridolin, der inzwischen begriffen hatte, wer am anderen Ende der Strippe hing, lachte mit.
    „Du hast mir doch gestern in meiner Milchbar erzählt, daß du per Anhalter nach München willst“, meinte Frau Bandel. „Mein Professor hat gerade abgesagt, und wenn du willst, lade ich dich mit seiner Fahrkarte zum Sonderzug um sechs Uhr achtunddreißig ein.“
    Der spindeldürre Page bedankte sich am nächsten Morgen dadurch, daß er besonders frühzeitig auf dem Bahnhof war.
    Als Frau Bandel mit einer ziemlich großen Reisetasche und im Regenmantel über den Bahnsteig trippelte, winkte er bereits aus dem Zug, der gerade eingefahren war.
    „Hallo, hierher, Frau Bandel“, rief er. „Ich habe zwei Fensterplätze für uns belegt.“
    „Das war aber sehr aufmerksam von dir“, freute sich die Besitzerin der Milchbar, als sie sich durch die übrigen Reisenden bis zu Fridolin durchgedrängelt hatte.
    „Keine Ursache“, entgegnete der Page und half Frau Bandel aus dem Regenmantel.
    „Besten Dank“, meinte sie und fügte hinzu: „Ich hab’ ihn für alle Fälle mitgenommen, weil es nach Regen riecht.“ Gleich darauf sagte sie noch: „Ach, wie nett, daß wir zusammensitzen, guten Morgen alle zusammen.“
    Nebenan hatte der Taxiunternehmer Lohmeier Platz genommen und ihm gegenüber Herr Kohl von der Blumenhandlung am Marktplatz. Beide mit ihren Frauen.
    „Fünf Züge sind schon abgefertigt und unterwegs“, rief in diesem Augenblick der Stationsvorsteher durchs offene
    Fenster. Dabei legte er die Hand an seine rote Mütze. „Ebenfalls guten Morgen allerseits.“ Er pustete in seine Trillerpfeife und rief hinterher laut: „Bitte einsteigen, der Zug fährt in vier Minuten ab.“ Gleich darauf sagte er ein wenig stolz wieder ins Abteil hinein. „Und nicht die geringste Verspätung bis jetzt.“ Anschließend rief er wieder ganz laut: „Türen schließen, wir fahren ab!“
    Als sich der Zug dann in Bewegung setzte, lehnte sich Frau Bandel in ihre Ecke und blickte vergnügt zu dem Pagen Fridolin hinüber: „Und jetzt bilden wir uns ein, daß wir irgendwohin in die Sommerfrische fahren.“
    Da etwa um dieselbe Zeit auch der letzte Omnibus den Rathausplatz verließ, war Bad Rittershude an diesem frühen Sonntagmorgen beinahe schlagartig so leer wie eine weggeworfene Konservenbüchse.
    Vor den Fenstern der Wohnungen waren die Rolläden heruntergelassen, und in den Straßen ließ sich keine Menschenseele blicken, ganz einfach deshalb, weil die ganze Stadt ausgeflogen war.
    Von der Richtung des Güterbahnhofs kam eine dunkle Wolkenwand rasch immer näher, als würde sich ein Gewitter oder ein Sturm zusammenbrauen. Die ersten dicken Regentropfen fielen schon schräg auf die Bänke für Spaziergänger im Kurpark.
    Sie zerplatzten auch auf dem Dach und auf der Windschutzscheibe eines grauen Volkswagens, Modell Golf, mit einer Münchner Autonummer. Er war sehr langsam über einen Feldweg gekommen und hielt jetzt hinter einem hohen Gebüsch dicht bei der Haselnußstraße.
    Der Fahrer war seitlich mit zwei Rädern auf eine Grasnarbe gefahren und stellte den Motor ab. Er blieb eine ganze Weile hinter dem Steuerrad sitzen, ohne sich zu bewegen. Nur seine Augen suchten zuerst geradeaus und dann im Rückspiegel die Umgebung ab. Schließlich blickte er auf seine Armbanduhr. Es war genau sechs Uhr fünfundvierzig.
    Der Mann nahm jetzt zwei vorbereitete Plastiksäcke vom Beifahrersitz, zog sie über seine Schuhe und schnürte sie über den Füßen fest zusammen. Dann zog er sich schwarze Lederhandschuhe an, griff noch nach einem schmalen Metallkoffer und stieg vorsichtig aus.
    Es war für den Mann kein Problem, über einen ziemlich verkommenen Zaun aus verrostetem Maschendraht zu klettern. Er mußte auch nicht befürchten, dabei von der Straße aus gesehen zu werden. Das alte Haus lag hinter dem verwilderten Garten wie in einem Versteck, und sein Besitzer war ja mit dem Sonderzug um sechs Uhr achtunddreißig nach München abgereist.
    Zwischen den Treppensteinen begann das Gras zu wachsen, und der alte Messingklopfer an der Haustür war mit Grünspan überzogen. Als der Mann das einfache Schloß aufstemmte, gab es kurz ein Geräusch, weil morsches Holz splitterte.
    Der Mann wartete einen Augenblick, horchte in die Stille und blickte sich um.
    Der

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