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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Regen prasselte jetzt auf das Laub der Bäume. Gleichzeitig donnerte es vom Zobelberg her. Das erste Frühlingsgewitter in diesem Jahr.
    Der Mann schlüpfte durch die geöffnete Haustür, ging durch den halbdunklen Korridor, erreichte einen Wohn-raum und bewegte sich mit seinen in Plastik verpackten Schuhen, ohne Spuren zu hinterlassen, wie auf Socken weiter. Jetzt gab er sich gar keine Mühe mehr, Geräusche zu vermeiden. Er blickte nur kurz in eine Küche und darauf in eine Art Vorratsraum, bis er dann das Arbeitszimmer des Professors entdeckt hatte. Die Regale waren bis an die Decke mit Büchern vollgestopft, und den großen Schreibtisch deckten Papiere, Zettel mit Notizen, Listen mit Zahlenreihen und handgeschriebene Manuskripte fast vollständig zu.
    Der Mann beeilte sich jetzt. Er schien gefunden zu haben, was er suchte, und raffte alles, was an Geschriebenem auf der Schreibtischplatte lag, zusammen, ließ es in seinem Metallkoffer verschwinden. Anschließend durchsuchte er auch noch die Schubladen, aber er war enttäuscht, als er darin nur wissenschaftliche Zeitschriften fand, die ihn nicht interessierten.
    Der Mann wußte, daß es im Haus noch ein Laboratorium geben mußte. Das konnte nur im Keller liegen. Er ging also zu der schmalen, eisernen Treppenspirale, die nach unten führte. Dabei erschrak er kurz vor seinem eigenen Schatten, als er an einem Spiegel vorbeikam. Unwillkürlich ging er von diesem Moment an auf Zehenspitzen.
    Als er seinen Fuß gerade vorsichtig auf die erste Stufe setzte, erschrak er zum zweitenmal.
    Er blieb wie erstarrt stehen, weil er glaubte, Schritte und dann ein Knarren gehört zu haben.
    Er bewegte sich ganz behutsam zurück und wollte sich gerade in den Schatten eines breiten Eichenschrankes drücken, als jetzt im Obergeschoß eine Tür scharf aufschnappte. Fast im selben Augenblick fiel Licht über eine breite, mit Teppichen belegte Treppe, und die Stimme des Professors rief: „Hallo, ist da jemand?“
    Dem Mann brach am ganzen Körper der Angstschweiß aus. Er feuchtete seine Lippen mit der Zunge an und sagte zu sich selbst: ,Er ist gar nicht weggefahren. Bleib jetzt ganz ruhig. Sei kein Narr, reiß dich zusammen!’ Und dann wiederholte er blitzschnell in Gedanken: ‚Verdammter Mist, er ist wirklich nicht weggefahren!’
    Inzwischen kam der weißhaarige Gelehrte die Treppe herunter. Vorerst war nur seine Silhouette zu erkennen. Aber dann blitzten in dem Lichtstrahl, der vom ersten Stock herunterfiel, zuerst die Gläser seiner goldumrandeten Brille auf, gleich danach war sein ganzes Gesicht beleuchtet und auch das Metall eines Revolvers, den er in der rechten Hand hielt.
    „Ist da jemand?“ fragte der Professor wieder. Er blieb jetzt mitten auf der Treppe stehen. „Ich höre Atem“, sagte er. „Ich weiß, daß da jemand ist. Zeigen Sie sich, oder ich schieße!“
    ,Nichts wie weg!’ hämmerte es im Kopf des Mannes. Er wußte in diesem Augenblick nicht mehr, was er tat. Er wirbelte rasch herum und rannte los.
    „Stehenbleiben!“ rief der Professor und schoß zur Warnung irgendwohin in die Dunkelheit zwischen dem Korridor und dem Wohnraum. Gleichzeitig machte er einen Schritt auf die nächste Stufe. Und da passierte es. Er verlor den Halt, fiel um und stürzte über die Stufen der Treppe, bis er an ihrem Ende hart aufschlug und regungslos liegenblieb.
    Genau in derselben Sekunde lehnte Frau Erika Bandel ahnungslos auf ihrem Fensterplatz im Sonderzug nach München.
    Sie hatte für den Pagen namens Fridolin längst zwei Wurstbrote zum Frühstück aus ihrer Reisetasche geholt.
    Im übrigen sang der ganze Waggon gerade: „So ein Tag, so wunderschön wie heute ...“
    Obgleich es draußen nach Strich und Faden regnete.

Zwerge versetzen Berge

    München empfing Bad Rittershude in strahlender Sonne. Die letzten Sonderzüge und Omnibusse waren im Laufe des Vormittags angekommen. Es blieb also noch Zeit für einen Spaziergang durch den Englischen Garten oder zur fast zwanzig Meter hohen Dame Bavaria am Rande der Theresienwiese. Andere setzten sich hinter ein Stück Torte in eines der offenen Schwabinger Straßencafes, und wer es bequemer haben wollte, bummelte bloß durch die Fußgängerzone, bewunderte die Frauentürme und bestaunte dann, wie Erika Bandel, pünktlich um zwölf Uhr vom Marienplatz aus das Glockenspiel am Rathaus. Einige wenige schlenderten durch das Nationalmuseum oder gar durch die Pinakothek, weil sie einen echten Dürer sehen wollten.
    Jedenfalls waren die

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