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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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auf die Bude“, verkündeten sie stolz. Oder sie trafen nur ganz kurz die Feststellung: „Zwerge versetzen Berge.“
    Die Bayernspieler, die sich inzwischen etwas lustlos gegenseitig einen Ball zuschoben, grinsten nur und schienen ganz offensichtlich abfällige Bemerkungen zu machen.
    Als jetzt endlich die eigene Mannschaft in ihren blauen Hosen und zitronengelben Trikots aus dem riesigen dunklen Tunnel heraus in die grelle Sonne und damit in das Stadion gelaufen kam, brach auf den Tribünen die Hölle los. Aus den mitgebrachten Trompeten, Rasseln, Hörnern, Kuhglocken und steinalten Autohupen lärmten sie so laut, daß man glauben konnte, das Stadion sei total überfüllt.
    Und während die beiden Gegner sich jetzt artig in zwei Reihen gegenüberstanden und ihre Spielführer sich gegenseitig die Vereinswimpel zur Erinnerung verehrten, flog ein mittleres Meer von Toilettenrollen wie Papierschlangen durch die Luft.
    Schließlich hatte man auch in Bad Rittershude die Fußball-Weltmeisterschaft von Argentinien im Fernsehen verfolgt.
    Bevor sich die erste Begeisterung richtig gelegt hatte, wurde der Ball schon zum Anstoß freigegeben.
    Und jetzt zeigte es sich, daß sogar ein paar Rundfunkreporter gekommen waren, und auch ein halbes Dutzend Fotografen hatte sich in das Stadion verirrt. Sie lagen allerdings ohne Ausnahme hinter dem Tor des FC Bad Rittershude auf der Lauer.
    „Das ist kein gutes Zeichen“, unkte Frau Erika Bandel, die zwischen Herrn Bemmelmann und Frau Kohl eingeklemmt saß.
    „Nun, unsere Erwartungen sind ja wohl trotz der Begeisterung bescheiden“, wagte Studienrat Dr. Purzer einzuwerfen. „Immerhin sind die Bayern — „
    „Mensch, quasseln Sie nicht so viel“, rief ein junger Bursche in einem erbsengrünen Anorak. Er hatte die Schule längst hinter sich und konnte sich deshalb dem Studienrat gegenüber diesen Ton erlauben. „Reißen Sie lieber hinter Ihrer Brille die Augen auf!“
    Und tatsächlich lag auf dem Spielfeld bereits in den ersten Minuten eine Sensation in der Luft.
    Trainer Kliemann hatte sich auch erst gerade zwischen seine Ersatzspieler auf die Auswechselbank gesetzt, die hier so komfortabel war wie eine Proszeniumsloge im Bad Rittershuder Stadttheater, als der wieselflinke Lehrling vom Finanzamt mit seinem wehenden blonden Schopf von der rechten Außenlinie plötzlich ins Feld hineinstürmte, sich an der bayerischen Abwehr unbemerkt vorbeimogelte und jetzt ganz allein mit dem Ball am Fuß auf den gegnerischen Torwart zulief.
    „Karliii“, brüllte es von der Westtribüne herunter und auch herüber von den Balljungen, die wie Spatzen im Abstand von jeweils etwa zehn Metern hinter der Aschenbahn am Umlaufgraben hockten. Der kleine Kubatz mit seinem Bürstenhaarschnitt direkt vor einer Reklamefläche von Jägermeister’.
    „Karli“ schrie auch Trainer Kliemann. „Er hat das 0:1 auf dem Schuh!“
    „Karli“, überschlug sich die Stimme des kleinen Kubatz mit dem Bürstenhaarschnitt.
    Der Bayerntorwart stürzte wie ein Panther aus seinem Kasten dem Amateur aus Bad Rittershude entgegen.
    „Karli“, dröhnte es rhythmisch und tausendfach von den Rängen, und das Echo kam wie eine Welle von dem Oval mit den vielen Stufen und der Flammenschale, in der einst das olympische Feuer gebrannt hatte, in das Stadion zurück.
    Aber plötzlich rissen die Rufe ab, und dann war es unter dem riesigen Zeltdach so still wie in einem Kohlenflöz an Weihnachten.
    Anschließend brach Krakeelen und ein Riesenradau los.
    Die Schlachtenbummler auf der Westtribüne waren aufgesprungen, tobten, johlten und krakeelten wütend durcheinander.
    „Pfuiiiiiiiiii!“
    „Foul!“
    „Klammeraffe!“
    „Banause!“
    Der Torwart der Bayern hatte sich rücksichtslos zwischen die Beine des anstürmenden Blondschopfs geworfen, der jetzt am Boden lag und sich vor Schmerzen krümmte.
    Es kam erst wieder Ruhe ins Stadion, als der selbstbewußte, schwarzkostümierte Herr aus Hamburg zum Strafraum der Bayern gelaufen kam, sich wie ein Denkmal von Napoleon in Positur stellte und dann mit ausgestrecktem Arm auf den Elfmeterpunkt zeigte. Seine Trillerpfeife, die er zuvor mehrfach strapaziert hatte, war von dem allgemeinen Lärm glatt zugedeckt worden.
    Jetzt ging es auf den Rängen der Westtribünen zu wie bei einem Volksfest. Trompeten und Kuhglocken waren wieder zu hören, man johlte, klatschte in die Hände, und manche tanzten wie Derwische auf den Bänken hin und her.
    Währenddessen standen die Bad Rittershuder

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