Der Sohn des Kometen
»Nach diesem weiten Weg zusammen bleibt keine Zeit, deinem Körper Frieden zu geben.«
Er wandte sich ab und untersuchte rasch die Tür, durch die Etro in den Raum gekommen war. Dahinter befand sich eine weitere Kammer, ähnlich der, in der er selbst erwacht war. Ein Lager, nicht so breit und kostbar wie seines, ein kleiner Tisch, ein Schrank, eine Truhe, die steinernen Wände mit einem Dutzend farbiger Bilder behangen, die allesamt Menschen darstellten, die einander merklich ähnlich sahen. Ein halb verhängtes Fenster, davor eine schmale Bank. Davon abgesehen war der Raum leer.
Mythor wollte eintreten, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen, verhielt aber mitten im Schritt, als er ein Geräusch hinter sich vernahm.
Er fuhr herum. Eine junge Frau stand unsicher im Eingang. In ihrem hübschen Gesicht war Überraschung zu lesen.
Sie war die Frau aus seinen Träumen, Nyala, wie Etro sie genannt hatte.
Doch sosehr er von ihrer Erscheinung fasziniert war, so heftig wandte sich sein Grimm gegen sie.
Sie war die Mörderin. Sie müsste die Alte mit dem vergifteten Wein geschickt haben. Die Überraschung auf ihrer Miene sagte es deutlich genug. Sie war überrascht, dass er noch lebte!
Doch gleichzeitig wehrte sich ein besonnener Teil seines Ichs gegen die blinde, aus Schmerz geborene Wut. Er ließ die geballten Hände sinken und entspannte sich. Es war nicht die Tatsache, dass es eine Frau war, die vor ihm stand, denn bei den Marn hatten die Frauen ebenso gut zu kämpfen gelernt wie die jungen Männer. Es war auch nicht der Umstand, dass ein tainnianischer Soldat, offenbar höheren Ranges, hinter ihr den Raum betrat, mit der Hand am Schwertgriff. Es war nur, dass alles um ihn neu und verwirrend und faszinierend war, so dass ihm Rachegefühle klein und unbedeutend erschienen.
Auch das Gesicht des Mannes war ihm aus der Erinnerung vertraut. Es hatte ihn mit drohenden Blicken gemustert. Nun war seine Miene überrascht und hasserfüllt. Mythor entging nicht, dass der Blick des Mannes suchend durch den Raum wanderte und am Becher haftenblieb.
Die Frau sah Mythor an, und als er ihren Blick nur stumm erwiderte, sagte sie mit einem unsicheren Lächeln: »Wir hörten ein Rufen. Ich bin froh, dass du aufstehen kannst. Ich muss meinen Heilern ein Lob aussprechen.«
»Dafür auch?« Er deutete auf sein Lager.
Das Mädchen sah die leblose Gestalt Etros verwundert an. Dann wurde ihr klar, dass der alte Mann tot war. Sie sah Mythor mitleidig an. »Es tut mir leid. Wir haben alles getan.«
»Ja«, versetzte er heftig.
Ihr Blick hing fragend an ihm.
»Weißt du es nicht? Es war Gift in diesem Becher Wein.« Er zeigte auf den Tisch.
»Gift?« entfuhr es ihr. Sie war blass geworden. »In welchem Becher?«
»In dem dort am.« Er hielt inne. Der Becher war verschwunden. Und als er sich umsah, war es auch der Begleiter des Mädchens. »Er muss ihn mitgenommen haben.«
»Zohmer?« Sie lief zur Tür und rief einige Male seinen Namen. Danach rief sie einige Wachen herbei. Auch drei Mägde erschienen mit blassen Gesichtern.
»Sie hatten die Pflicht, über dich und deinen Freund zu wachen. Haben sie den Wein gebracht?«
»Nein.«
»Zohmer?«
»Der vorhin? Nein. Eine alte Frau kam herein und stellte ihn auf den Tisch. Er war für mich bestimmt.«
»Das denke ich auch«, stimmte Nyala zu. Sie wandte sich an die anderen: »Hat jemand diese alte Frau gesehen?«
Sie verneinten ausnahmslos. Nyala entließ sie und befahl den Wachen, am Eingang zu bleiben.
»Ist das dein Haus?« fragte Mythor.
»Es ist die Burg des Herzogs von Elvinon. Herzog Krude ist mein Vater. Ich bin Prinzessin Nyala.«
»Ließ er mich hierherbringen?«
»Nein, ich. Es war mein Wunsch, dich nach Elvinon zu bringen und gesund zu pflegen. Und auch deinen Freund. Etro war sein Name, nicht wahr?«
»Weshalb?«
»Weil.« Sie zögerte. »Es ist nicht mit ein paar einfachen Worten erklärt. Wir haben beide sehr viele Fragen. Ich möchte, dass wir Freunde werden, aber es bleibt uns nicht mehr viel Zeit, fürchte ich. Ich werde nach deinen Wunden sehen lassen. Und du wirst hungrig sein. Lass uns beim Essen in Ruhe miteinander sprechen.«
»Was geschieht mit Etro?«
»Nimm Abschied von ihm. Dann wollen wir ihn bestatten, wie es bei deinem Volk der Brauch ist. War er ein angesehener Mann?«
Mythor nickte. »Er war der Erste Bürger der Marn.«
»Marn? Hieß so dein Volk?«
»Ja.« »Erster Bürger? Was bedeutet es?«
»Er bestimmte, was geschah. Er führte den
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