Der Sohn des Kreuzfahrers
Kreuzfahrer, die bis zu den Knien in weiß-gewandeten Leichen standen und mit ihren Speeren darin herumstocherten; in einer anderen Straße sah er zwei Ritter, die einen alten Mann festhielten, damit ein dritter Ritter ihn erschlagen konnte - der Mann schrie etwas auf Latein, als das Schwert ihn durch-
bohrte. Beide Male wandte sich Murdo rasch ab, und fortan blickte er nur noch geradeaus. Die Straße wand und wand sich immer weiter und wurde wieder schmaler, bis sie schließlich in einem geschlossenen Hof endete. Dort blieb Murdo stehen.
Hier hatte man Leichen auf zwei Stapel gehäuft, vier Mann breit und bis zu zehn hoch. Murdo starrte auf diese bizarren Gebilde aus menschlichen Körpern - manche waren so verstümmelt, daß sie kaum noch zu erkennen waren -; er konnte nicht verstehen, wie so etwas hatte möglich sein können. Nach kurzem Nachdenken kam er zu dem Schluß, daß die Unglücklichen entweder hier Zuflucht gesucht hatten oder von den Pilgern hierhergetrieben worden waren, wo man sie dann abgeschlachtet hatte. In ihrer Angst hatten die armen Seelen vermutlich versucht, die Leichen ihrer Kameraden emporzuklettern, um so zu entfliehen, doch vergebens: Die Kreuzfahrer hatten sie allesamt niedergestreckt, und der Leichenberg war stetig gewachsen.
Murdo spürte etwas Feuchtes, Klebriges unter seinen Stiefeln, und als er an sich herunterblickte, bemerkte er, daß er in einer Pfütze aus Blut stand, das langsam auf die Straße hinausfloß. Krank vor Ekel drehte er sich um und floh auf demselben Weg, den er gekommen war.
Als er erneut die breite Straße erreichte, versuchte er eine andere Abzweigung. Diesmal wählte er eine schmale Gasse zwischen zwei großen Häusern. Vor sich hörte er laute Rufe, und als er weiterging, entdeckte er, daß die Gasse auf einen überdachten Marktplatz führte. Murdo verstärkte den Griff um seinen Speer, sprang über die Leichen am Eingang und betrat den Suq, wie ein solcher Markt auf Arabisch hieß. Von irgendwoher inmitten des Labyrinths aus Ständen und Gängen hörte er die Jubelschreie der plündernden Sieger. Überall lagen zerschlagene und zertrampelte Waren; an manchen Stellen hatte man das, was man nicht fortschleppen konnte, einfach in Brand gesetzt.
Murdo blickte einen düsteren Gang hinunter und entdeckte an dessen Ende ein Licht. Der Gang war übersät mit etwas, was auf den ersten Blick Steine zu sein schienen. Bei genauerer Untersuchung stellte sich jedoch heraus, daß es sich hierbei um Brot handelte, das man auf den Boden geworfen und zertrampelt hatte. Murdo ging auf das Licht zu, doch er war kaum ein Dutzend Schritte weit gekommen, als er in einem leeren, zerstörten Stand einen kleinen Haufen Leichen entdeckte - vielleicht die einer Kaufmannsfamilie, die im Suq Schutz gesucht hatte.
Den Mann hatte man von oben bis unten aufgeschlitzt und mit seinem eigenen Gedärm erdrosselt. Zwei Frauen mit langen schwarzen Haaren - vermutlich Frau und Tochter des Händlers, vermutete Murdo -, hatte man zu Tode geprügelt; ihre Gesichter waren nicht mehr als menschlich zu erkennen. Einen kleinen Jungen und seinen Hund hatte man geköpft und die Köpfe ausgetauscht.
All das sah Murdo nur einen einzigen Augenblick lang, dennoch kam ihm die Galle hoch. Würgend wandte er sich ab. Er wankte ein paar Schritte nach vorne, dann blieb er stehen, stützte sich auf seinen Speer und übergab sich.
Schließlich raffte er sich wieder auf und wankte weiter - allerdings ohne noch einmal nach rechts oder links zu schauen -, bis er endlich das Licht am Ende des Ganges erreichte. Dort blieb Murdo erst einmal stehen, um Atem zu schöpfen und schaute sich um. Hier, in diesem Viertel, waren die Häuser größer und stabiler gebaut und die Bewohner offenbar wohlhabender. Auch schienen die Kämpfe hier noch im Gange zu sein. Ein hoher Schrei drang aus einem der Häuser, und ein Stück weiter die Straße hinauf schlugen Flammen aus den oberen Fenstern eines anderen. Die gepflasterte Straße war mit zerbrochenen Gegenständen übersät - Möbel, Fässer, Truhen, Küchengerät, Kleidung -, die man achtlos aus den Häusern hinausgeworfen hatte. Hoch über den Dächern entdeckte Murdo die Zinnen einer alles überragenden Mauer. Suchend blickte er an der Mauer entlang, und schließlich bemerkte er das Funkeln einer riesigen goldenen Kuppel.
Vorsichtig bewegte er sich durch das Trümmerfeld, ohne dabei jedoch den Blick von der Mauer zu wenden. Als er ein großes Stein-haus mit zwei Marmorsäulen
Weitere Kostenlose Bücher