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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Die Hakul sahen einander besorgt an. Eine große, unsichtbare Kraft erschütterte die Ebene, und sie schien rasch näher zu kommen. Ein durchdringendes Krachen und Splittern erfüllte plötzlich die Luft - und dann schoss zwischen Stadt und Tempelberg eine mächtige braune Woge hinaus in die Ebene, toste durch das Bachbett und überschwemmte die Ufer.
    »Um Marekets willen, was ist das?«, rief Tuwin.
    Schlammig wälzte sich das Wasser über die Ebene, aber gelegentlich blitzte etwas weiß in den Wellen auf. Die Tiere scheuten, und die Männer starrten ungläubig auf die Wassermassen.
    »Weg vom Ufer, Hakul«, rief Yaman Aryak.
    Sie trieben ihre Pferde eilig näher zur Stadt, weg von dieser seltsamen Flut, die über die Ebene schoss. Von der Mauer ertönten aufgeregte Stimmen. Die unheimliche Woge hatte sie in die Reichweite der Bogenschützen getrieben, und die Hufe von Awins Pferd zertrampelten den Kranz aus Pfeilen, der sich um einen der beiden Flüchtlinge gelegt hatte. Der Mann lag dort unten, das Gesicht zur Seite gewandt, und starrte ins Nichts. Awin drehte sich weg.
    Wo war Merege? Er entdeckte sie auf dem anderen Ufer. Auch sie hatte ihr Pferd bestiegen und sich vom Bachlauf zurückgezogen. Es schien, als wolle das Gewässer nachholen, was es in den letzten hundert Jahren versäumt hatte. Fünf-, sechs-, ja, zehnmal breiter als das Bachbett schoss das Wasser
durch die Ebene und hinunter zum Fluss, riss Steine und allerlei rätselhafte Dinge mit sich.
    Plötzlich entdeckte Awin mitten in den braunen Wellen einen seltsamen Körper. Er war von Kopf bis Fuß in Stoff gewickelt und tanzte auf den Wasserwirbeln. Geschlossene Schalen und Krüge folgten ihm, und viele bleiche, kurze Gebilde schienen ihn zu begleiten. Awin sah genauer hin. Es waren Knochen und Schädel. Da trieben zahllose Knochen auf dem aufgewühlten Wasser! Und er begriff, dass der verhüllte Körper eine Leiche war. Kaum war der verhüllte Leichnam davongespült, verebbte die Flut fast so plötzlich, wie sie begonnen hatte, und der Bach zog sich weiter und weiter zurück, bis er als schmales Rinnsal durch sein altes Bett floss. An seinem Ufer blieben zahllose Gebeine zurück. Keiner der Hakul sprach. Selbst Curru versuchte nicht, dieses Ereignis irgendwie zu deuten.
    »Seht!«, rief Mabak aufgeregt.
    Die Gruppe um Mewe tauchte in einem Palmenhain auf. Die Männer gingen zu Fuß, denn drei ihrer Pferde hatten Lasten zu tragen. Awin sah, wie der Yaman erbleichte. Mewe hielt an, als er den Bach erblickte. Stumm bestaunten er und die anderen das unheimliche Wunder zu ihren Füßen.
    »Wen bringt ihr?«, rief Yaman Aryak gegen den böigen Wind. Awin staunte, dass er so viel Haltung bewahrte.
    »Die Söhne des Yamans und einen Akkesch«, rief Mewe zur Antwort.
    Der Yaman nickte, aber er ließ sich nicht anmerken, was in ihm vorging.
    »Akkesch?«, fragte Tauru halblaut, »dann ist es nicht der verfluchte Feind?«
    »Unsere Welt ist voller Feinde, junger Hakul«, antwortete Harbod grimmig.
    »Kommt herüber!«, rief Curru.

    Mewe zögerte noch einen Augenblick, aber dann durchquerten sie den Bach, der eben noch ein reißender Strom gewesen war. Die Schlachtreihe rührte sich nicht. Es war Ebus Leiche, die auf Mewes Pferd lag, und Bale brachte Ech. Einer der Fuchs-Krieger hatte einen Fremden über dem Sattel liegen. Seine Kleidung wirkte kostbar. Mewe hielt sein Pferd an. Bale breitete zwei schwarze Umhänge auf dem Boden aus, und die Männer halfen ihm, Ebu darauf abzulegen. Ech betteten sie daneben. Ihre Gesichter waren bleich und verzerrt, die Augen geschlossen. Beide hatten mehrere Wunden. Der Yaman starrte lange stumm auf die beiden Körper, dann fragte er, und er konnte ein leichtes Beben in der Stimme nicht unterdrücken: »Wer … wer ist dieser Fremde?«
    Mewes Pferd tänzelte unruhig, vielleicht wegen der Leichen, vielleicht wegen des Brandgeruchs in der Luft. Der Jäger packte es fest am Zügel und antwortete: »Ich weiß es nicht, ehrwürdiger Yaman. Wir fanden ihn dort, wo auch deine Söhne gefallen sind, in jenem kleinen Talkessel, den Awin uns beschrieben hatte.«
    Wieder nickte der Yaman nur, aber sein Gesichtsausdruck war nicht zu beschreiben. »Weißt du, was dort geschehen ist, Mewe, Jäger unseres Klans?«
    Mewe schüttelte den Kopf. »Jemand hat sich Mühe gegeben, die Spuren zu verwischen, und dieser namenlose Wind tat ein Übriges. Deine Söhne sind als Krieger gefallen, mit der Waffe in der Hand, das kann ich dir sagen,

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