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Der Sohn des Sehers 01 - Nomade

Titel: Der Sohn des Sehers 01 - Nomade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Und sie sagt, dass wir die Eisenstraße nehmen sollen, denn die führt zu jenem grünen Tor, das ich im Traume sah. Unser Weg ist uns offenbart!«

    Die Krieger murmelten beifällig. Der Seher hatte sie überzeugt. Einige sahen Awin an, als erwarteten sie Zustimmung, aber Awin war zu sehr in Gedanken, um darauf einzugehen. Es war eben Curru mit seinen alten Sehersprüchen - und dann bog er sie sich auch noch zurecht. Awin kannte nicht halb so viele der alten Weisheiten wie sein Meister, aber den Spruch, auf den sein Lehrer sich berufen hatte, den kannte er. Eine Entscheidung, die überdacht wird? Nein, eigentlich hieß es: Eine Entscheidung, die überdacht werden sollte ! Und das sollte sie dringend, denn der Seher wusste noch nichts von Awins Traum. Doch jetzt stand Curru beim Yaman und den anderen Kriegern, beantwortete ihre Fragen und hatte keine Zeit für seinen Schüler. Und Awin konnte nicht vor dem gesamten Sger die Deutungen seines Meisters anzweifeln. Also musste er sich in Geduld üben. Er zog sich ein Stück von den anderen zurück, denn er wollte in Ruhe nachdenken. Auf seinem Weg zum Wasser sah er plötzlich Merege. Sie stand am Wagen, und seine Schritte führten ihn beinahe zufällig dicht an dem Karren vorbei. Er fragte sich, wo sie die ganze Zeit gesteckt haben mochte, und bemerkte zu spät, dass er sie anstarrte.
    »Ah, der Hakul mit dem Schecken«, grüßte sie ihn. Ihr Gesicht blieb unbewegt. Awin bekam das Gefühl, dass sie ihn mit nicht mehr Anteilnahme betrachtete als einen der Steine, von denen es am Ufer reichlich gab. Er nickte ihr möglichst ernsthaft und knapp zu, um nicht zu zeigen, wie brennend gern er erfahren hätte, wo sie gewesen war.
    »Wo gehst du hin?«, fragte sie unverblümt.
    »Ans Wasser, ich meine ans Ufer. Wasser.« Schon wieder geriet er ins Stottern.
    »Dort ist es angenehm kühl«, erklärte sie.
    »Ich weiß«, antwortete Awin, dem einfach nicht mehr zu sagen einfiel.

    Sie wandte sich von ihm ab, drehte sich aber noch einmal um: »Eines noch, Hakul. Meine Ahnmutter wünscht, dass ich euch begleite, also werde ich es tun. Glaubt aber bloß nicht, dass ich es will.«
    Sie wollte nicht? Dann war sie ja mit dem Sger einer Meinung, denn der wollte sie auch nicht dabeihaben. Awin fühlte sich dennoch rätselhaft enttäuscht. Außerdem hatte er das Gefühl, dass jetzt dringend irgendeine Bemerkung - so etwas wie höfliches Bedauern - angebracht wäre. Er suchte nach den richtigen Worten. »Gut«, sagte er schließlich, und das war ziemlich genau das Gegenteil von allem, was er hatte sagen wollen.
    Wieder verengten sich die blassblauen Augen zu schmalen Schlitzen. Dann verschwand Merege im Wagen. Awin starrte ihr hinterher. Sie war eine Zauberin, ganz sicher, denn immer, wenn sie mit ihm redete, war sein Kopf leer und das, was er sagte, sinnlos und dumm. Als er unten am See seinen Durst stillte, fiel Awin ein, dass er das Mädchen noch fragen wollte, was das bedeutete - Ahnmutter und Ahntochter. Er seufzte und fragte sich, ob es ihm wohl gelingen würde, bei seiner nächsten Begegnung mit ihr etwas weniger Unsinn zu reden. Er hörte Schritte hinter sich und drehte sich um, aber es war nicht Merege, die zurückkehrte, sondern ihre Ahnmutter. Er erhob sich eilig. »Sei gegrüßt, ehrwürdige Senis«, rief er.
    Sie erwiderte den Gruß mit einem ernsten Nicken. »Meine Ahntochter wirkt verärgert, junger Hakul. Hat das etwas mit dir zu tun?«
    »Mit mir?«, rief Awin erschrocken. Er konnte dem Blick aus den fast weißen Augen kaum standhalten. »Ich hoffe nicht, ehrwürdige Senis.«
    »Das hoffe ich ebenfalls nicht, junger Hakul. Aber warum bist du so weit weg von deinesgleichen und so nachdenklich und still? Du weißt: Der Vogel, der nicht singt, wird nicht gehört.«
    Wusste sie, was ihn beschäftigte? Er hatte sie dort gesehen. »Ich … ich hatte einen Traum, ehrwürdige Senis«, stieß er hervor und hätte sich gleich danach am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum erzählte er dieser wildfremden Frau etwas, was er bisher nicht einmal einem Sgerbruder anvertraut hatte?
    »Einen Traum? Das ist gut, junger Hakul, sehr gut sogar. Ich nehme an, du weißt, wie Edhil die Hüter, die Erstgeborenen Götter, erschaffen hat?«
    Bei dieser Frage sah sie ihn nachdenklich an, und er hatte das Gefühl, in diesen Augen zu versinken wie in Schnee. »Er … er hat sie erträumt«, sagte er.
    »Ja, du weißt es. Und auch diese Welt hat er erträumt. Doch war sie roh, unfertig und noch im Fluss.

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