Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
beteiligen wollte, aber Praane blieb gelassen und erklärte, ein Ore sei dazu ebenso wenig verpflichtet wie ein Yaman. Ungeschickterweise fügte er jedoch hinzu, dass dies in seinem Volk ohnehin Frauensache sei. Awin fürchtete kurz, Wela würde dem Ore nun die Augen auskratzen, aber sie wurde plötzlich sehr ruhig und sagte nur: »Es ist vielleicht auch besser, diese Dinge den Frauen zu überlassen, Ore, denn sie sind geschickter und bringen sicher besseres
Holz zum Feuer als ein Mann, der erst schachert, bevor er seinen Gefährten hilft!« Damit ließ sie ihn stehen.
Awin suchte sich einen halbwegs trockenen Platz unter einer alten Buche und starrte in den immer dichter fallenden Regen. Er war sicher, dass irgendwo hinter diesem Vorhang aus Wasser die Unsichtbaren sie beobachteten, und es blieb unangenehm, dieser Gefahr nicht ins Auge sehen zu können. Es mochte täuschen, aber er hatte das Gefühl, dass ihr Weg auf einen Punkt zulief, an dem sie ihrem Feind begegnen würden. War das etwa ein Rest seiner Sehergabe? Er wusste es nicht, und seine Laune verschlechterte sich, weil er sich wieder einmal blind und nutzlos fühlte. Praane kam herangeschlendert und setzte sich zu ihm. »Eure Schmiedin trägt ihr Herz auf der Zunge, wie man so sagt«, begann er.
Awin nickte.
»Selbst dir erweist sie wenig Achtung, wie mir scheint, und du bist der Yaman deines Klans.«
Wieder nickte Awin schweigend.
»Zunächst dachte ich deshalb, sie sei dein Weib«, fuhr Praane fort, »aber du sagtest, dass sie das nicht ist.«
Als Awin immer noch nichts erwiderte, sagte Praane: »Ich nehme an, sie ist sehr begehrt bei den Hakul, oder?«
Jetzt starrte Awin den Ore mit großen Augen an. »Begehrt? Wie kommst du darauf?«
»Nun, sie ist Heilerin, Schmiedin, und kann doch mit deinen Männern mithalten auf eurem Kriegszug. Ist es nicht das, wovon ein Hakul träumt?«
Awin verkniff sich ein Grinsen. Er wusste, dass die meisten Hakul eine Frau vor allem dann schätzten, wenn sie sich im Hintergrund hielt, und er musste daran denken, was für eine Unruhe es im Klan der Berge gegeben hatte, als Tuwin der Schmied seine Tochter zu seiner Nachfolgerin erkoren hatte.
»Worauf willst du eigentlich hinaus, ehrwürdiger Ore?«, fragte er höflich.
»Ach, nichts eigentlich«, erwiderte Praane, erhob sich und ging.
Die Nacht über wurden sie von ausgiebigen Schauern geplagt, gegen die das Blätterdach nur unvollkommenen Schutz bot. Die Stimmung war gedrückt, und die Männer sprachen wenig. Erst am Morgen ließ der Regen nach, und es wurde schnell sehr warm und stickig. Der Waldboden dampfte, und die Luft war so schwül, dass das Atmen schwerfiel. Praane überließ Nokke und Mahuk die Spitze und lief länger an der Seite Welas, wie Awin mit einem Stirnrunzeln feststellte. Zunächst schien die Schmiedin recht einsilbig zu sein, aber später hörte er, dass sie sich sehr angeregt mit dem Ore unterhielt, jedoch zu leise, als dass er etwas verstanden hätte.
»Wenn ich nicht diese unnützen Schmerzen hätte, würde ich mich auch öfter umdrehen, um zu sehen, was die beiden da zu tuscheln haben«, sagte Tuge irgendwann.
»Mir würde genügen, es zu hören, aber eigentlich geht es uns nichts an, oder?«, antwortete Awin.
»Natürlich nicht, Yaman«, bestätigte der Bogner. »Andererseits, du bist der Yaman, du solltest schon wissen, was in deinem Klan vorgeht«, fügte er hinzu.
»Sie unterhalten sich. Es ist doch gut für uns, wenn wir mehr über diesen Mann erfahren«, sagte Awin.
»Wie du meinst, ehrwürdiger Yaman«, erwiderte Tuge spöttisch.
Etwas später war sich Nokke über den weiteren Weg unsicher, und Praane übernahm wieder die Führung. Awin ließ sich einige Zeit darauf zurückfallen und nahm den Platz an Welas Seite ein. »Du könntest gelegentlich nach Tuge sehen. Er klagt zwar nicht, aber ich glaube, er leidet immer noch sehr«, begann er.
»Mir schien es heute Morgen, als sei es schon viel besser geworden.«
»Das Pferd, immer wenn es am Halfter zieht, schmerzt es ihn wohl, auch wenn er es leugnet«, meinte Awin.
Wela sah ihn zweifelnd an.
Awin räusperte sich. »Ich habe gesehen, dass du dich länger mit dem Ore unterhalten hast.«
»Darf ich das nicht?«, fragte Wela spitz.
»Ganz im Gegenteil. Ich begrüße es, wenn Akradhai und Hakul einander besser verstehen lernen, und das Misstrauen, das uns beherrscht, allmählich schwindet.«
»So, du begrüßt es«, wiederholte Wela gedehnt.
»Ja, außerdem erfahren wir
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