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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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vielleicht so etwas mehr über dieses Volk.«
    Wela schwieg eine Weile, bevor sie antwortete: »Ich habe tatsächlich etwas erfahren, Awin, etwas, das mich bestürzt und empört, mir aber auch vieles erklärt. Vielleicht solltest du es auch wissen, und da ich denke, dass Praane nicht gerne darüber spricht, sollte ich es dir vielleicht sagen.«
    Awin wartete gespannt, während Wela offenbar versuchte, die richtigen Worte zu finden. Schließlich sagte sie: »Dieses Volk ist uns fremder, als ich dachte, Awin, denn denk dir, diese Bauern, sie verstoßen ihre Kinder!«
    »Was meinst du damit, Wela?«, fragte Awin verwundert.
    »Drüben im Kornland, wo sie herkommen und die allermeisten von ihnen leben, verlangt der Brauch, dass der älteste Sohn den Hof des Vaters erbt. Der zweite Sohn darf sich im Kornland ein ungenutztes Stück Land suchen und dort einen eigenen Hof gründen. Gibt es jedoch mehr als zwei Söhne, so müssen alle folgenden über den Fluss und versuchen, im Grünland ihr Glück zu machen, dort, wo der Boden unfruchtbar und sumpfig ist, dort, wo fast jeden Winter die Hakul kommen.«

    »Und Praane ist ein solcher Sohn?«
    »Er ist der vierte Sohn eines Dorfältesten, aber auch für ihn gilt dieses Gesetz. Denk dir, es ist ihm sogar verboten, das Kornland vor Ablauf von zweimal zwölf Jahren wieder zu betreten!«
    »Wirklich ein seltsamer Brauch«, murmelte Awin.
    »Seltsam? Unmenschlich nenne ich das! Sie zerreißen kalten Herzens ihre Familien! Für die Töchter gilt übrigens Ähnliches. Jede, die nicht am Mittwintertag ihres siebzehnten Jahres verheiratet oder wenigstens versprochen ist, muss das Kornland verlassen!«
    »Und deshalb hegt Praane einen Groll gegen seine Heimat?«
    »Er hat zwei jüngere Schwestern im Grünland verloren, Awin, am Fieber sind sie gestorben. Ich verstehe nun seine Verbitterung und sein Misstrauen besser. Ich glaube, ich werde ihn noch um Entschuldigung bitten für alles, was ich ihm an den Kopf geworfen habe. Verstoßen vom Vater, einfach, weil ein dummer Brauch es so verlangt!«
    Awin fragte sich im Stillen, welche Gründe die Akradhai für dieses Gesetz hatten. Vermutlich waren die Äcker im Kornland knapp, und sie versuchten auf diese Weise, neues Land an der Grenze zu gewinnen. Dennoch, für einen Hakul war dieses Vorgehen undenkbar. Nichts war wichtiger als die Familie, der Klan, und ein Sippenmitglied wurde nur bei einem sehr schweren Verbrechen aus der Gemeinschaft verstoßen.
    Sie zogen weiter durch den dampfenden Wald, immer wieder durch kurze, aber heftige Schauer belästigt, und unter ständiger Anspannung. Immer noch schreckte jedes Rascheln oder lautere Knacken die Männer auf, und immer wieder mahnten Awin und Jeswin zu Ruhe und Besonnenheit. Am Nachmittag stießen sie auf einen Hohlweg, der sich zwischen einigen
Hügeln hindurchschlängelte. Das steigerte die Anspannung, denn der tiefe Weg und das dichte Unterholz, das ihn säumte, schränkten ihre Sicht noch mehr ein als zuvor.
    »Wenn sie uns angreifen wollen, wäre das der beste Platz«, brummte Tuge.
    Awin teilte seine Besorgnis. Er sprach mit Praane darüber, doch der erklärte ihm, dass er keinen anderen Weg kenne. Also folgten sie dem alten Hohlweg. Ein weiterer Schauer durchdrang das Laubdach, und das Rauschen in den Bäumen mochte manches Geräusch des Waldes übertönen. Umso angestrengter lauschten sie. Zweimal scheuchten sie Rehe auf. Als die erschreckten Tiere davonsprangen, sorgte das dafür, dass zwei Dutzend Hände zu den Waffen griffen. Awin schien es, als sei das gelegentliche Knarren und Ächzen der Bäume, das unruhige Tropfen von den Blättern, das Rascheln im Laub nun noch bedrohlicher als zuvor. Er sah Mahuk an, dass er ähnlich beunruhigt war. Irgendein Unheil schien sich anzukündigen, und es schien näher zu kommen, je weiter sie dem Hohlweg folgten.
    Plötzlich ließ Praane den Sger halten.
    »Was gibt es, Ore Praane?«, fragte Awin.
    »Der Weg ist versperrt, Yaman«, lautete die Antwort.
    Jetzt sah Awin es selbst. Der Hohlweg mündete ein Stück voraus in eine weite Wasserfläche.
    »Da kommen wir doch hindurch, oder?«, fragte Jeswin zweifelnd.
    »Du kannst es versuchen, Yaman, doch ich muss dich warnen. Ich kenne diese Stelle. Es ist ein Bach, der zur Jurma fließt, und er hat sich zwischen Steinen ein tiefes Bett durch den Wald gegraben. Irgendetwas muss ihn gestaut haben, denn zu dieser Jahreszeit ist er sonst nicht viel mehr als ein etwas breiteres Rinnsal.«
    Sie gingen weiter

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