Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
getötet haben«, rief einer halblaut.
Der Hagere, der Awin um einen Kopf überragte, starrte ihn an. Furcht und Hass standen ihm ins Gesicht geschrieben.
»Nun, hast du etwas zu sagen, Hakul?«, fragte Awin und trat noch näher an seinen Gegner heran. Nicht einmal die Schneide eines Schwertes passte jetzt noch zwischen sie.
Der Hagere wich zurück, stolperte, drehte sich um, schob die Nächststehenden wütend zur Seite, drängte sich zwischen seinen Gefolgsleuten hindurch und verschwand in der Menge. Laute Schreie ertönten in diesem Augenblick aus dem Getümmel. Offenbar war der Zweikampf entschieden.
»Noch jemand, der etwas sagen möchte?«, fragte Awin in die Runde.
Doch die Männer schwiegen und zogen sich nach und nach zurück. Als der letzte sich abgewandt hatte, begann Awins Hand am Dolch zu zittern.
»Ich bewundere deinen Mut, Yaman«, erklärte Tuge anerkennend. »Es waren zwei Dutzend Krieger, aber keiner hat es gewagt, dir die Stirn zu bieten.«
Awin nickte schwach. »Es war leicht zu sehen, dass dieser Mann ein Großmaul ist, aber andere sind vielleicht nicht so schnell zu beeindrucken. Und wenn sie sich erst Mut angetrunken haben, werden sie sich sicher noch einmal zeigen und mich herausfordern.«
In diesem Augenblick kam Praane vom Hafen. Er hatte Pallwe mitgebracht, der inzwischen eingetroffen war. Nur war niemand da, um die Baumstämme, die er brachte, entgegenzunehmen. Und er kam jetzt ausgerechnet zu Awin und fragte ihn, ob er nicht etwas unternehmen könne. Zwei von Jeswins Männern gaben den beiden Akradhai Geleitschutz. »Die Hakul helfen nicht«, brummte der Flößer, gewohnt einsilbig.
Awin schlug ihm vor, ins Ordal zu gehen. »Du solltest dir jedoch nicht zu viel davon versprechen, Meister Pallwe, denn Blohetan ist vielleicht zu betrunken, um irgendetwas zu entscheiden.«
Wieder brandete Lärm vom Kampfplatz auf. Offenbar gab es einen neuen Streit. Es klang, als hätten weitere Krieger ihre Blutdolche gezogen. Pallwe schnaubte verächtlich, musterte die schreienden Hakul, dann das Ordal, schüttelte den Kopf und verschwand grußlos. Die beiden Männer von Jeswin folgten ihm mit einem Schulterzucken.
Sie kamen überein, dass es besser für den Sger wäre, wenn Awin sich bis zum Ritual verbergen würde. Nach einiger Überlegung schlug Awin vor, sich im Auge des Sturms zu verstecken:
»Ich bleibe einfach mit Merege hier, im Haus der Ältesten, dort werden sie mich sicher nicht suchen.«
»Das Ordal? Gewagt, aber nicht dumm«, meinte Tuge grinsend.
Awin lächelte flüchtig. »Ich bitte dich, Yaman Jeswin von unserem Vorhaben zu unterrichten. Wenn jemand nach uns fragt, soll er sagen, dass er uns bald zurückerwartet. Aber bitte ihn, im Morgengrauen am Tempel zu sein, denn es kann sein, dass wir schnell fortmüssen. Vielleicht müssen wir sogar kämpfen.«
Unterdessen kehrten Limdin und Dare zurück. Wela ritt zwischen ihnen. Sie sah nicht sehr zufrieden aus. »Sie gehen sich zwar nicht an die Gurgel«, erklärte sie Awin leise, »aber sie reden auch nicht mehr miteinander.«
»Sag ihnen, sie sollen sich zusammenreißen, denn ich kann keinen Streit im Sger gebrauchen, schon gar nicht heute.«
Wela sah ihn mit schief gelegtem Kopf an: »Was glaubst du eigentlich, habe ich die ganze Zeit versucht, Awin?«
Awin seufzte ergeben. Er nahm sich vor, mit den beiden Kriegern noch einmal einzeln zu reden, aber er hatte an viele andere Dinge zu denken. Er sprach mit Mahuk, denn er wollte einige Kräuter bereitliegen haben, falls er ohne ihre Hilfe die Reise nicht schaffte.
»Yeku sagt, du bist abgelenkt. Er denkt, du könntest scheitern.«
»Denkt er das, oder hofft er das, ehrwürdiger Raschtar?«, fragte Awin ungehalten.
»Er denkt es. Er sagt, es ist viel Unruhe über den Hütten.«
Awin seufzte. »Dann will ich hoffen, dass es auf der Ebene des Geistes etwas ruhiger zugeht, Mahuk.«
Sie entschieden, dass auch der Raschtar mit Merege und Awin im Ordal bleiben sollte, denn er und Yeku fielen zu sehr auf.
Dann trennten sie sich. Immer noch wurde auf dem Platz heftig gestritten, und immer noch war kein Wächter an der Pforte. Sie betraten das Haus, suchten und fanden eine Vorratskammer und beschlossen, dort zu bleiben. Es gab dort einen Stapel Tuchballen, hinter dem sie sich verstecken konnten. Zunächst wagte Awin noch einen Blick in den großen Saal. Blohetan saß da, trank, stierte ins Nichts und redete mit leeren Stühlen. Awin schlich zurück in die Kammer. Blohetan tat ihm
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