Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
leid. Ganz offensichtlich war die Aufgabe, die ihm Eri gegeben hatte, zu schwer für den Alten. Zu seinem Unglück wusste Blohetan das offenbar selbst, und er suchte das Vergessen in dem starken Bier, das die Akradhai brauten.
Mahuk begrüßte ihn mit einem breiten Grinsen. »Wir verstecken uns. Unter dem Mantel des Anführers. Gute Geschichte.«
»Hoffentlich haben wir noch Gelegenheit, sie zu erzählen«, brummte Awin. Er fragte sich, wo Isparra war. Praane hatte behauptet, er habe sie in der Nähe der Fähre gesehen. Sie hatte versprochen, ihm auf der Ebene des Geistes in einige Geheimnisse einzuweihen. Würde sie ihn wieder im Stich lassen?
Merege setzte sich zu Awin. »Es liegt Unruhe über der Stadt«, sagte sie leise.
»Die Krieger langweilen sich, das macht sie gefährlich«, stimmte Awin zu.
»Das meinte ich nicht. Es sind die Akradhai. Sie ducken sich, sie schweigen, aber sie sind voller Hass. Vielleicht sind sie sogar gefährlicher als deine Stammesbrüder.«
Awin seufzte. »Ich kann es nicht ändern. Aber das liegt morgen früh hinter uns, und ich will bei meiner Reise versuchen herauszufinden, was uns auf dem Meer und in deiner Heimat erwartet, Merege.« Wieder schoss ihm dieses Bild in den Sinn - von Merege, die sterbend in den Schnee sank. Hatte
sie nicht gesagt, dass es in ihrer Heimat zu dieser Zeit keinen Schnee gab?
Die Kariwa sah ihn nachdenklich an. »Du solltest nach Senis Ausschau halten«, sagte sie ernst. »Sie ist bei weitem die Mächtigste unter den Wächtern, und ich fürchte, ohne sie werden wir die Xaima nicht aufhalten können.«
»Wir werden sehen«, murmelte Awin. Natürlich wollte er Senis suchen. Er setzte große Hoffnung in sie. Aber was, wenn sie die Hilfe verweigerte, wie damals, als sie Slahan alleine hatten entgegentreten müssen? Er seufzte. Es war später Nachmittag, und er konnte den Abend kaum noch erwarten. Warum nur waren die Nächte hier im Norden so kurz? Er schloss die Augen und bat Mareket und Tengwil um günstige Zeichen. Er konnte sie dringend gebrauchen. Plötzlich nahm Merege seine Hand. »Du solltest nicht verzagen, junger Seher. Du bist weit gekommen, weiter, als es jemand für möglich gehalten hätte. Und sind wir erst einmal auf See, ist das Schlimmste des Weges überstanden.«
»Des Weges vielleicht«, gab Awin zurück. »Aber was ist mit dem, was uns am Ende unseres Pfades erwartet? Ich glaube, alles, was uns bisher begegnet ist, wird uns klein und harmlos erscheinen, wenn wir erst den Xaima und Eris Heer entgegentreten.«
Merege lächelte. »So düstere Gedanken? Warum versuchst du nicht, das Gute zu sehen?«
Awin seufzte wieder. Seit seine Sehergabe zurückgekehrt war, hatte sie ihm jede Nacht dunkle Träume beschert. Wann endlich würde ein Traum zu ihm kommen, der ihm Hoffnung gab? Er spürte Mereges Nähe. Er hätte sie gerne vieles gefragt, aber das ging nicht, solange Mahuk bei ihnen war.
Die Stunden verrannen, und die Unruhe über der Stadt schien mit Einsetzen der Dämmerung noch zuzunehmen. Sie hörten
das Grölen betrunkener Hakul und die wütenden oder verzweifelten Schreie der Akradhai. Nach und nach erschienen immer mehr Hakul im Ordal. Aus der Halle drangen Stimmen heran, es wurde anscheinend heftig gestritten. Gelegentlich ergriff Blohetan das Wort, aber er wurde oft unterbrochen, und Awin erkannte, dass es die Yamane waren, die sich dort versammelt hatte. Offenbar hatte Blohetan bei ihnen keinen großen Rückhalt mehr, denn alles, was sie hörten, klang nach Widerspruch und Streit. Awin spähte durch den Türspalt hinaus auf den Gang. Er sah Akradhai, die Fässer in die Halle rollten und Braten und andere Speisen heranschleppten.
»Wir hätten uns zu diesem Fest einladen sollen«, brummte Mahuk. »Bier und gutes Fleisch, nicht nur Trockenfleisch.«
»Ich bin sicher, wenn wir erst auf dem Meer sind und tagelang nichts als Fisch bekommen, wirst du dich noch nach Trockenfleisch sehnen, Mahuk«, erwiderte Awin halb im Ernst.
»Sollten wir nicht langsam aufbrechen? Die Dämmerung ist weit fortgeschritten«, meinte Merege.
Ein schmaler Fensterspalt zeigte einen glühend roten Himmel. Er erinnerte Awin an den Traum, den er auf dem Floß gehabt hatte. Der brennende Himmel. Stand er für Feuer oder vielleicht nur für einen dieser endlos langen Sonnenuntergänge? Aber die Kariwa hatte Recht. Sie schlichen sich aus der Kammer. In der großen Halle wurde laut gelacht, zu laut, wie Awin fand. Vielleicht spüren auch sie die böse
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