Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
Sieg?«, rief er. »Wenn Eri diesen Sieg erringt, bedeutet das den Untergang, nicht nur für die Hakul! Ihr seid doch Deuter! Habt ihr euch nicht gefragt, warum diese Zauberer euch die Antwort für Eri vorgesagt haben? Und sollte es nicht unter eurer Würde sein, das nachzuplappern, was andere euch einflüstern?«
»Aber es sind Zauberer, große Zauberer«, erwiderte der Unscheinbare, als sei damit alles gerechtfertigt.
»Dummköpfe!«, rief Awin und wandte sich ab.
»Du nennst uns dumm, Abtrünniger?«, höhnte der narbengesichtige Deuter. »Das tust du nur, weil du blind bist, Seher, und die Wahrheit nicht erkennen kannst!«
Awin stockte. »Welche Wahrheit soll das sein?«, fragte er mit erzwungener Ruhe. Wusste der Mann, dass er seine Gabe verloren hatte, oder wollte er ihn nur verhöhnen?
»Eri wird siegen. Das ist gewiss. Er hat den Lichtstein, und alle Stämme der Hakul folgen ihm. Wie sollte er da nicht siegen? Du solltest wissen, dass auch ich ein Seher bin. Es ist wahr, sehr oft spricht Tengwil nicht zu mir, doch dieses Mal war sie mir gewogen. Sie zeigte mir die brennenden Dörfer der Akradhai und das stolze Heer der Hakul, angeführt von Eri und den vier Zauberern. Sie eilen von Sieg zu Sieg, wie Feuer durch trockenes Gras, und niemand kann sie aufhalten. Gestern zeigte die Schicksalsweberin mir dann noch etwas - etwas, das vielleicht dich betrifft.«
Awin wandte sich dem Sprecher zu. Der Mann war eitel und selbstgefällig, aber möglicherweise wirklich ein Seher.
Der Deuter fuhr fort: »Ich sah einen Adler in meinem Traum, verfolgt von einem kleineren Vogel. Zunächst dachte ich, es sei ein Falke, denn es kommt vor, dass diese geschickten
Räuber selbst den mächtigen Adler angreifen, um ihn von ihrem Horst fernzuhalten. Doch dann wurde der Traum deutlicher. Ein Sperling war es, der den Adler jagte.« Die Stimme des Deuters troff jetzt vor Herablassung. »Es ist leicht zu verstehen, nicht wahr, Seher? Was glaubst du: Wird der Sperling diese Jagd nicht bereuen? Denn was kann er tun, wenn er den Adler stellt? Gar nichts, außer sterben! Und das habe ich gesehen.«
»Das kann alles Mögliche bedeuten«, antwortete Awin unwirsch.
Der Narbengesichtige lachte. »So bist du wirklich blind, Abtrünniger?«
»Wenn du ihn noch einmal so nennst, wird dein Hals es bereuen, ehrwürdiger Deuter und Pferdeschinder«, fuhr ihn Wela wütend an.
»Lass ihn, Wela, lass ihn nur reden. Er weiß nichts«, sagte Awin.
»Ich weiß mehr, als du auch nur ahnst, Yaman«, höhnte der Deuter.
»Dann weißt du sicher auch, was als Nächstes geschieht?«, fragte Awin grimmig.
Der Deuter öffnete den Mund, doch kam nichts heraus.
»Das dachte ich mir«, sagte Awin lächelnd. »Sperrt diesen und jenen dort irgendwo ein. Ich will mich noch ein wenig mit diesem Weißbart hier unterhalten.«
Tuge brachte die beiden anderen Orakelausleger in den Pferdestall und stieß sie unsanft über die Schwelle. Der Stall hatte sogar eine Pforte, die der Bogner nun sorgsam verschloss.
»Was willst du von mir, Awin, Kawets Sohn?«, fragte der verbliebene Deuter, den Awin trotz seines prächtigen weißen Bartes in Gedanken den Unscheinbaren nannte.
»Zunächst deinen Namen, ehrwürdiger Deuter.«
»Man nennt mich Mandek.«
»Ich danke dir, Mandek. Etwas sagt mir, dass du mehr von der Kunst des Sehens und Deutens verstehst als deine beiden Gefährten.«
Mandek zuckte mit den Achseln. Als Awin ihn aber durchdringend ansah und dabei mit seinem Schwertgriff spielte, wich der aufgesetzte Gleichmut. »Was möchtest du wissen, Yaman Awin?«, fragte er hastig.
Awin hatte viele Fragen, und er hatte keine Zeit, lange darum herum zu reden: »Ich will wissen, wie ihr den Willen der Götter bei den Stuten lest.«
Mandek zögerte einen Augenblick, dann begann er, umständlich zu erklären: »Dieser Platz ist gesegnet. Die Götter lieben ihn, und sie lieben diese Stuten, das ist gewiss. Sie weihen sie in ihre Geheimnisse ein, und sie erlauben ihnen, uns ein wenig davon zu verraten. Das ist nicht einfach, doch haben wir die Überlieferung. Sie ist alt und reich. Jedes Spiel der Ohren, jede Bewegung und ihre mögliche Bedeutung ist von Deuter zu Deuter weitergegeben worden. Ich denke, bei euch Sehern ist es doch ähnlich, oder? Wir üben beide eine Kunst aus, die sehr alt ist, Yaman.«
»Es mag eine Kunst sein, die Hakul so lange zu täuschen, Mandek, aber es hat wenig mit dem zu tun, was ein echter Seher vollbringen kann. Ich zweifle nicht daran,
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