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Der Sohn des Sehers 03 - Renegat

Titel: Der Sohn des Sehers 03 - Renegat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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zu tun, die man sich heute auf den Weiden erzählt«, erklärte Awin kühl. »Doch bin ich eigentlich nicht hier, um alte Geschichten auszutauschen.«
    »Ich weiß, Awin, Kawets Sohn, du hast Fragen«, erklärte der Unscheinbare, »doch das Orakel hat keine Antworten für jene, die mit Gewalt eindringen. Du musst sühnen, was du getan hast. Dann erst steht das Orakel dir offen - wenn du ihm die nötige Wertschätzung erweist.«
    Awin traute seinen Ohren nicht. Der Deuter verlangte eine Bezahlung ? Das war unverfroren. »Sühne? Die schulde ich der Familie des Getöteten, doch nicht dem Orakel. Ich schätze es, ohne Frage, sonst wäre ich nicht hier, aber im Augenblick könnte ich meine Achtung nur mit weiterem Blut erweisen. Ich bezweifle, dass das in eurem Sinne ist, Ehrwürdiger.«
    »Bei Drohungen oder Gewalt hüllen sich die Stuten in Schweigen!«, rief der Narbengesichtige laut und mit übertriebener Geste. Seine beiden Gefährten tauschten einen Blick aus, der Awin verriet, dass sie nicht allzu viel von ihm hielten.
    »Die Stuten. Ich will sie sehen«, verlangte Awin schlicht.

    »Das darfst du nicht!«, keifte der erste Deuter.
    »Willst du mich daran hindern, Hakul?«, fragte Awin freundlich.
    »Wir können dich nicht aufhalten, denn wir sind keine Männer des Schwertes, doch die Götter werden deinen Frevel ahnden, Abtrünniger«, erwiderte der Deuter.
    Der Verwundete stöhnte auf. »Hier endet mein Wissen. Und Yeku ist auch ratlos«, erklärte Mahuk düster.
    »So stirbt er also!«, rief der Narbengesichtige anklagend.
    »Vielleicht. Vielleicht nicht. Die Götter werden entscheiden. Menschen haben getan, was Menschen tun können«, antwortete der Raschtar ernst.
    Die rothaarige Frau wollte nicht von ihrem Schwager weichen. Mahuk riet ihr, die Wunde mit einem bestimmten Moos und frischem Wasser zu kühlen, woraufhin sie ihn nur feindselig anstarrte. Awin erteilte seine Befehle. Er ließ Limdin auf dem Pfad Stellung beziehen, und Mabak sollte den Verwundeten und seine Pflegerin bewachen.
    »Ich bin sicher, du wirst noch Gelegenheit haben, die heiligen Rösser zu sehen, Mabak«, tröstete Awin den Enttäuschten.
    Wela hatte sich ein Stück von der Höhle entfernt. Awin sah sie an der Abbruchkante der kleinen Bergmatte stehen und ging zu ihr. »Wonach hältst du Ausschau, Wela Schmiedetochter?«, fragte er.
    »Dort unten soll irgendwo die Stadt liegen, Tiugar, aber ich kann sie nicht sehen.«
    Awin folgte ihren Blicken. Bergrücken reihte sich an Bergrücken. Sie wurden niedriger, aber sie schienen sich endlos weit in die Ebene hinauszuziehen. Irgendwo zwischen diesen Bergen musste die Stadt liegen. Awin sah in einiger Ferne eine immer wieder auf den Hängen erscheinende helle Linie, den Pfad, der das Orakel mit der Stadt verband. Aber von der
Verborgenen selbst war nichts zu sehen. »Nach allem, was ich weiß, liegen einige Stunden zwischen Orakel und Stadt, Wela«, sagte er.
    »Genau weißt du es nicht?«
    »Nein, aber frage doch eine von den Frauen. Sie werden dir Auskunft geben können.«
    Wela folgte dem Rat und erfuhr zu ihrer Enttäuschung, dass Tiugar, eingebettet in ein enges Tal, mehr als sechs Stunden entfernt lag.
    »Und man sieht es erst nach der letzten Wegbiegung«, erklärte die junge Frau, die hatte fliehen wollen. »Es hat schon seinen Grund, warum die Stadt ›die Verborgene‹ heißt.«
    »Ihr hättet eben den Weg aller ehrlichen Hakul nehmen sollen«, giftete die Rothaarige, »und euch nicht wie Diebe und Mörder anschleichen dürfen. Dann hättet ihr sie gesehen.«
    Wela schnaubte verächtlich, aber Awin spürte ihre Enttäuschung. Abhilfe konnte er allerdings nicht schaffen. Sie trat wieder an die Kante und blickte hinab. Dann winkte sie Awin mit einer unauffälligen Geste heran. Awin runzelte die Stirn und trat an ihre Seite. »Was gibt es?«, fragte er leise.
    »Dort kommt jemand«, lautete die geflüsterte Antwort.
    Awin starrte hinab. Tatsächlich, dort, wo der helle Weg auf einem weit entfernten Hang sichtbar war, konnte man Bewegungen erkennen. Dort kamen mehrere Menschen den Berg hinauf. Es war schwer abzuschätzen, wann sie hier sein würden. In drei Stunden vielleicht.
    Awin versuchte, sich seine Beunruhigung nicht anmerken zu lassen, aber er wusste, es war Eile geboten. Er ließ die Deuter und ihre Dienerinnen vorausgehen. Die Höhle, oder vielmehr der Durchgang unter den Felsplatten, war überwältigend hoch und breit. Awin hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Einige

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