Der Sohn des Sehers 03 - Renegat
besser«, pflichtete ihr Tuge bei.
Awin dachte nach. Eigentlich war das das Einfachste. Aber etwas in ihm war dagegen. Wind zog über die Ebene. Für einen Augenblick glaubte Awin, er würde ihn rufen. Nach Nordwesten. Er betrachtete beide Wege noch einmal. Einer sah nicht besser aus als der andere. Dann fielen ihm die beiden Punkte auf, die in einiger Entfernung am Himmel kreisten. Es gab viele Sehersprüche, in denen es um Geier ging, auch wenn Awin im Augenblick kein einziger einfallen wollte. Aber seine Neugierde war geweckt. »Wir reiten nach Nordwesten und bleiben vorerst auf dieser Hochebene«, entschied er.
»Ah, die Geier!«, sagte Tuge, als sie eine Weile geritten waren. »Ein Seherzeichen«, fügte er mit Kennermiene hinzu, und als Awin immer noch nicht antwortete, fuhr er fort: »Dem alten Curru wäre dazu sicher etwas eingefallen.«
Awin warf ihm einen bösen Seitenblick zu. »Es sind nur zwei Geier. Wenn sie hier kreisen, heißt das, es ist wahrscheinlich irgendein Tier verendet, mehr nicht. Vielleicht ein Wolf oder ein Reh, oder was es hier sonst geben mag.«
»Natürlich, Yaman Awin«, sagte Tuge mit wissendem Lächeln. »Allerdings habe ich hier keine Spur von Wolf oder Reh gesehen.«
»Das ist dir also auch aufgefallen?«, sagte Awin. »Ich sah
nicht einmal ein Kaninchen, und das ist schon seltsam. Man könnte glauben, dass Tiere diese Ebene meiden. Selbst unsere Pferde sind unruhig. Die Geier mögen also etwas bedeuten. Immerhin war, was immer dort liegt, so freundlich, nah am Weg zu verenden, wenn mich nicht alles täuscht, und das erspart uns einen Umweg«, setzte er hinzu.
In der Tat führten die Wagenspuren jetzt schnurgerade auf die beiden kreisenden Aasfresser zu. Awin gab dem Sger ein Zeichen, sich kampfbereit zu machen. Er hatte ein ungutes Gefühl. Es gab hier Buschwerk und windgebeugte Baumgruppen, hinter denen sich Feinde verbergen mochten, und die stumm starrenden Steingeister taten ein Übriges zu dem Gefühl der Bedrohung.
Vorsichtig rückten sie weiter vor. Bald konnten sie sehen, was auf dem Weg verendet war. Es war ein Pferd, und es trug Sattel und Zaumzeug. Langsam ritten sie näher heran. Irgendwo krächzte eine Krähe.
»Es ist kein Hakul-Pferd«, stellte Wela nüchtern fest.
»Viramatai«, ergänzte Tuge. »Das Zaumzeug. Es stammt ganz sicher von den Sonnentöchtern.«
Awin nickte. »Es ist das Pferd, das wir Isparra in Pursu gegeben haben«, erklärte er.
»Du hast Recht! Die Blesse - das ist es!«, rief der Bogner.
Merege sprang aus dem Sattel und kniete neben der Tierleiche nieder. »Es ist gestürzt. Seht ihr, ein Bein ist gebrochen.«
»Ich sagte ja, sie ist eine schlechte Reiterin«, knurrte Tuge.
»Sie hat die Leiden des Tieres nicht beendet«, stellte die Kariwa fest, und Awin hörte Zorn in ihrer Stimme.
Awin nickte düster. Auch ihm war aufgefallen, dass das Tier noch im Liegen den Boden zerwühlt hatte. Ein Hakul hätte dem Pferd mit einem Messer geholfen und gehofft, es eines Tages auf Marekets Weiden wiederzutreffen. Es qualvoll verenden
zu lassen, war grausam. »Sie ist eine Windskrole. Sie versteht nichts von solchen Dingen«, sagte er rau.
»Verteidigst du sie etwa?«, fuhr Wela ihn empört an.
»Nein, ich versuche nur, es zu erklären«, antwortete er ernst.
»Ich würde ihr auch gerne das eine oder andere erklären«, murmelte Tuge mit finsterer Miene.
Auch Mahuk war vom Pferd gestiegen und besah sich den leblosen Körper. »Gestorben ist es heute. Vielleicht noch vor dem Morgen. Gestürzt gestern. Oder früher.«
»Dann ist es nicht der Reiter, den du gestern gehört hast«, sagte Awin.
Mahuk hob ein Stück roten Stoffes auf, der sich unweit des Weges in einem niedrigen Busch verfangen hatte. »Yeku sagt, sie ist nicht weit.«
»Sie soll mir nicht unter die Augen kommen«, rief Wela.
»Bedenke, wer sie ist«, mahnte Awin.
»Verteidigst du sie schon wieder?«, lautete die aufgebrachte Antwort.
»Nein, ich warne dich nur, Wela, Tuwins Tochter. Sie ist mächtig. Das solltest du nicht vergessen.«
Wela schnaubte verächtlich. Awin hoffte, dass sie sich beruhigen würde. Wenn sie so wütend war wie im Augenblick, würde sie sich vielleicht sogar mit einer Alfskrole anlegen.
»Ich dachte, sie hätte mehr Vorsprung«, meinte Tuge, als sie schließlich weiterritten. Die Geier kreisten schon etwas tiefer.
»Sie ist eine schlechte Reiterin, das hast du selbst gesagt. Und wir wissen nicht, welche Wege und Umwege sie eingeschlagen hat«,
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