Der Sohn des Tuchhändlers
nicht …«
Manchmal bin selbst ich schnell von Begriff. »Aber es war dir peinlich, es mir mitzuteilen.«
»Na ja …« Sie wand sich.
»Fryderyk Miechowita«, sagte ich.
Ich hatte auf einmal das seltsame Gefühl, neben mir zu stehen und mir dabei zuzusehen, wie ich handelte. Ich wandte mich abrupt ab, stapfte durch den Saal, polterte die Treppe hinunter – die Augen der Schreiber und Buchhalter folgten mir, vor Erstaunen weit wie Suppenschüsseln – und durch den Innenhof hinaus in die Gasse. Ich wandte mich nach rechts und stürmte zur Ecke der Sankt-Anna-Gasse, wandte mich dort wieder nach rechts, ohne darauf zu achten, ob ich jemanden zum Ausweichen zwang oder zu Boden stieß, und marschierte zu Fryderyk Miechowitas Wohnhaus wie ein Landsknecht, dem aufgefallen ist, dass er ein Haus zu plündern vergessen hat; nur mit bedeutend größerer Wut im Bauch. Die Eingangstür war geschlossen. Ich schlug dagegen … keine Reaktion … oder jedenfalls keine, die abzuwarten ich die Geduld gehabt hätte … die Tür war offen, natürlich, vor Einbruch der Dunkelheit versperrte niemand sein Haus, und selbst die täglich größer werdende Gefahr, dass es zu einem Aufstand der Fanatiker kam, war noch nicht groß genug, als dass die Menschen sich in ihrer eigenen Stadt verbarrikadiert hätten. Jetzt allerdings kam ich, und ich plante mehr als nur zu marodieren – ich plante, mir endgültig Gewissheit darüber zu verschaffen, ob meine Liebe gestorben war, und wenn es so war, dann wollte ich sie nicht beerdigen, ohne Miechowita samt seinem Besitz in Grund und Boden zu stampfen. Das Haus war nicht wesentlich anders gebaut als Janas Wohngebäude … Miechowitabesaß keinen Innenhof, oder wenn doch, lag der Wohnbau zwischen ihm und der Gasse … egal, da war eine Treppe ins Obergeschoss, ich rannte hinauf, sie war lang, aber sie hätte Jakobs Leiter in den Himmel sein können, und ich wäre auf ihr entlang nach oben gerast, ohne Erschöpfung zu verspüren. Ein Saal, genau wie der in Janas Haus: leer. Ein langer Flur, trüb erhellt von kleinen Fensteröffnungen. Eine halb offene Tür ein paar Schritte weiter vorn … ich stieß sie auf, ein Raum ohne Mobiliar und ohne Menschen. Zurück in den Flur; ich hörte von weiter vorn etwas wie gedämpfte Stimmen und ein Lachen. Das Lachen kam mir bekannt vor. Eine weitere Tür. Die Stimmen waren dahinter. Ich war sicher, dass ich vor Miechowitas Schlafzimmer stand, und fand meinen Verdacht wenig später bestätigt. Die Stimmen waren zu hören, aber der Raum war menschenleer. Selbst in meinem Zustand fiel mir auf, dass Miechowitas Schlafzimmer das Muster in Janas Haus wiederholte; neben dem Bett war eine niedrige Tür, und hinter dieser hörte ich das Lachen. Ich hob die Hand zur Klinke, aber auf einmal war es mir zu wenig, sie nur zu öffnen (und auf einmal bezweifelte ich auch, dass meine Hand genügend Kraft hatte, die Klinke hinunterzudrücken). Was war der geeignete Auftritt des Betrogenen? Richtig … ich hob den Fuß, um die Tür einzutreten …
Julia blickte zu mir hoch mit einem Gesichtsausdruck, als erwarte sie jeden Moment, von mir geschlagen zu werden. Ich starrte auf sie hinunter. Ich stand immer noch in Janas Saal. Ich hatte mich keinen Zoll von der Stelle gerührt.
»Ich stand vor dem Tor; ich hätte sie hinausgehen sehen müssen«, sagte ich und wusste gleichzeitig, dass ich töricht war. Das Haus besaß einen weiteren Ausgang zur rückwärtigen Parallelgasse. Jana hatte nur in den Innenhof treten und mich beim Tor stehen sehen müssen, um kehrtzumachen und den Hinterausgang zu benutzen. War ich zu diesem Zeitpunkt schon mit Miechowita im Gespräch gewesen? Fragte sie ihn im Augenblick danach, worüber wir gesprochen hatten?
Darüber, wofür du dich entscheiden wirst, mein Herz , hörte ich Miechowita antworten und hatte die Vision, wie er ihr dabei übers Haar strich. Ich hatte das Gefühl, mich setzen zu müssen, und wusste nicht, ob ich mich vor Schreck oder Wut schwach fühlte. Hatte ich soeben eine Vision erlebt? Oder einen Wachtraum von etwas, das später noch eintreten würde? Peter-Bernward-wie-er-sich-endgültig-zum-Narren-macht?
»Na gut«, sagte ich zu Julia. »Na gut.«
Jemand nahm meinen Arm und führte mich zu der Tafel mit den Sitzbänken davor. Ich setzte mich hin, ganz langsam. Wenn ich mich auf einem rohen Ei niedergelassen hätte, wäre es heil geblieben. Daniel setzte sich eine Armlänge entfernt nieder und musterte mich.
»Hier geht’s doch
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