Der Sohn des Tuchhändlers
hinter der Fensteröffnung des Ladens zu sehen; die Klappe davor war waagrecht gestellt und trug allen möglichen Tand, auf der einen Seite der Größe nach ausgerichtet, auf der anderen in fröhlichem Chaos durcheinander stehend. Offenbarhatte Paolo seinen eigenen Ordnungssinn auf die Auslage angewandt; das ordentliche Schema galt für die Seite, der er sich noch nicht gewidmet hatte. Ich nickte ihm zu und ging am Laden vorbei. Ich hoffte, dass alles so geklappt hatte, wie ich ihm aufgetragen hatte; mir lief die Zeit davon, und es gab noch so viel zu erledigen bis zu Daniels und Sabinas Ankunft und bis ich meine Pläne umgesetzt hatte, dass mir förmlich der Atem knapp wurde.
Ich hörte seine eiligen Schritte, mit denen er mir hinterherlief. Als er aufgeholt hatte, hielt er einen kleinen Lederbeutel hoch und sah mich drängend an.
»Zu früh«, sagte ich.
Er ließ die Hand sinken und stolperte betreten neben mir her. Wir umrundeten die Ecke des Gebäudes und betraten die Judengasse. Über die Dächer hinweg sah ich zur Rechten die Zwillingstürme der Marienkirche aus dem Gewirr der Firste und den anderen Kirchtürmen in die Höhe ragen. Die Glocken begannen zur Vesper zu schlagen, die Marienkirche wie üblich allen voran. Ich wandte mich nach links zur Stadtmauer. Paolo trabte neben mir her.
»Darf ich mitkommen, Herr Vater?«
Ich antwortete ihm nicht. Die Gasse lief geradewegs zur Stadtmauer. Einer der Wachtürme ragte mit seinem schlanken Turmhelm direkt vor uns auf; der schindelgedeckte Wehrgang der Mauer war eine dunkle Höhlung im schrägen Abendlicht. Unser Haus lag nun so weit zurück, dass selbst jemand, der wie wir um die Ecke gebogen und in die Judengasse hereingespäht hätte, uns im abendlichen Trubel kaum gesehen hätte. Die christlichen Messzeiten galten für die jüdische Bevölkerung nicht, und so nutzte man hier die letzte Stunde vor dem nächtlichen Ausgehverbot noch kräftig für ein paar Geschäfte.
Ich wandte mich um und streckte die Hand aus.
»Lass sehen, was du erwischt hast«, sagte ich.
Er überreichte mir den Lederbeutel. Ich nestelte ihn auf undschüttelte mir den Inhalt auf die Handfläche: ein goldener Ring mit einem Stein. Ich hielt ihn in die Höhe und musterte ihn.
»Bist du sicher, dass sie ihn nicht vermissen wird?«
»Ich habe so getan, als würde ich damit spielen wollen, und sie hat nicht gesagt: Leg ihn sofort wieder zurück!, sondern nur: Pass auf, dass du ihn nicht verlierst.«
»Hervorragend.«
»Darf ich mitkommen, Herr Vater?«
Ich steckte den Ring in den Lederbeutel zurück und ließ den Beutel in mein Wams gleiten.
»Was glaubst du denn, wohin ich gehe?«
Paolo strahlte mich an. »Zum Florianstor – Daniel und Sabina abholen.«
»Sie werden nicht ausgerechnet heute ankommen.«
»Das kann man nie so genau sagen«, erklärte er mit der vollen Weisheit seiner acht Jahre.
»Ich habe ein anderes Ziel«, sagte ich und klopfte auf das in meinem Wams versteckte Ledersäckchen. Paolo machte ein enttäuschtes Gesicht. »Und ich habe es schrecklich eilig. Lauf zurück in den Laden.«
»Bitte …«
»Das mit dem Ring hast du hervorragend gemacht. Nun lauf.«
»Bitte, bitte, bitte …«
Die ganze Tragik der enttäuschten Hoffnung lag in seinen Augen. Ich sah hinein und schmolz, während ich gleichzeitig dachte: Wie viel Zeit wird mich das wieder kosten?
»Ich kann mich aber nicht um dich kümmern. Du läufst neben mir her wie mein Schatten, verstanden?«
Seine Miene hellte sich auf. Ich machte eine einladende Geste, dass er vor mir gehen sollte, aber er streckte eine Hand aus und ergriff die meine. »Sie müssen auf mich Acht geben, ich bin noch ein kleiner Kerl«, sagte er ernsthaft.
»Kein großer Junge mehr?«
»Das bin ich außerdem.«
Ich lachte und setzte mich in Bewegung. Nach ein paar Schritten merkte ich, dass ich zu schnell für ihn war.
»Es tut mir Leid, dass ich die Aufgabe falsch gerechnet habe.«
»Kein Problem, Paolo«, sagte ich. »Bis es so weit ist, dass deine Rechnungen Einfluss auf die Wirklichkeit haben, vergeht noch ein Weilchen. Du kannst noch viel üben.«
Ich verlangsamte meinen Schritt, obwohl mir die Zeit auf den Nägeln brannte, so dass er bequem neben mir hermarschieren konnte. Der Lederbeutel mit Janas Ring war ein leichtes Gewicht in meinem Wams; noch leichter war die Hand Paolos in meiner, ein warmer, lebendiger Beweis von Vertrauen und Zuneigung, und ich verspürte in rascher Folge alle Gefühle von väterlicher
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