Der Sohn des Tuchhändlers
Vorkoster vergiftet?«
»Wie wär’s«, sagte ich und zerdrückte den imaginären Becher in der Faust, »wenn du einfach ruhig bist und abwartest, wohin ich dich bringe?«
»Herr Vater?«
»Ja?«
»Warum hat Onkel Mojzesz König Kasimirs Vorkoster vergiftet?«
»Was ist das?«, fragte Paolo.
»Das«, sagte ich und wies auf ein hölzernes Schild mit einer in Goldfarbe ausgeführten Malerei einer Krone, »ist der beste Goldschmied der Stadt.« Ich deutete auf den Davidsstern, der unter der Krone aufgemalt war. »Und wahrscheinlich auch der beste der ganzen jüdischen Diaspora.«
Der Laden befand sich im südlichen Drittel der Vorstadtgasse, fast schon zwischen den Palästen der ausländischen Gesandten. Dass er dort lag, wo die Kanonikergasse eben begonnen hatte und parallel zur Vorstadtgasse verlief, sprach dafür, dass der Goldschmied einen einträglichen Umsatz machte. Gott braucht, wenn es nach den Klerikern geht, immer jede Menge Geschmeide für seine Kirchen – und für die Gewänder seiner Vertreter auf Erden.
Ein Mann stapfte die hölzernen Stufen hinauf. Er machte ein verbissenes Gesicht. An der obersten Stufe drehte er sich um und starrte in die Düsternis zurück, aus der er nach oben geklettert war. Er schien mit sich zu kämpfen, ob er wieder hinunterklettern sollte. Seine Hand fuhr in sein Wams und ertastete etwas. Dann warf er sich herum, rannte beinahe in Paolo und mich hinein, zog den Kopf zwischen die Schultern und stelzte mit hastigen Schritten an der Hausmauer entlang, bis er um die nächste Ecke bog. Paolo starrte ihm hinterher.
»Geh rein«, sagte ich und drängelte ihn sanft die Stufen hinunter. »Außerdem ist er ein Pfandleiher.«
»Ein schönes Stück«, sagte der Goldschmied. »Ein wirklich schönes Stück. Sehen Sie nur, hier …«, er schob die Tranfunzel näher heran, »… der Ring selbst ist wie ein Ast geformt, nein, eher wie verschlungene Wurzeln, und dabei so glatt und abgerundet,dass man sich nicht verletzt, und hier … das Blatt, das den Stein hält …«, er brachte sein Auge so nahe an das Schmuckstück heran, dass ich erwartete, die Tranfunzel würde jeden Moment sein Haar abzufackeln beginnen, »… es hat sogar Rippen, nein, eher wie Blattadern, und der Stein, wie eine rote Beere, nein, eher wie eine Kirsche …«
Ich streckte die Hand aus, und er ließ den Ring widerwillig hineinfallen.
»Ein sehr schönes Stück«, sagte er und musterte mich durch die Flamme seines kleinen Lichtes hindurch. »Ich kann natürlich nicht seinen gesamten Wert pfänden, nein, eher höchstens ein Zehntel …«
»Was können Sie anfertigen, das das hier übertrifft?«, fragte ich.
Die Augen hinter der Tranflamme blinzelten, und die Flamme zuckte einmal, als wäre sie ebenso überrascht wie mein Gesprächspartner. »Anfertigen?«
»Herr Vater?«, rief Paolo, der sich auf den Stufen herumtrieb und versuchte, auf einem Bein hüpfend die gesamte Länge hinauf- und herunterzukommen.
»Gleich, Paolo. Also?«
Der Goldschmied schob die Tranfunzel zögerlich beiseite. Er pflückte den Ring aus meiner Hand und wog ihn in der Handfläche. Er sah mich mit großen Augen an. »Anfertigen!?«
»Herr Vater, da kommt jemand!«
Ich schnaubte und beschloss, Paolo zu ignorieren.
»Sie sind nicht von hier, Herr?«
»Ich werde Sie nicht übervorteilen, keine Angst. Hier sind meine Bedingungen: Ich stelle Ihnen die nötige Menge Gold; die Steine, aus denen Sie diejenigen aussuchen können, die Sie brauchen, erhalten Sie ebenfalls von mir. Vor Beginn der Arbeiten erhalten Sie ein Drittel des vereinbarten Lohnes, ein weiteres Drittel, wenn wir uns über das Aussehen des Rings geeinigt haben, und den Rest bei Ablieferung.«
»Ein faires Angebot, nein, eher ein höchst anständiges Angebot, aber …«
»… aber natürlich hat die Sache einen Haken.« Ich lächelte ihn so freundlich wie möglich an. »Es ist nämlich so …«
»Herr Vater!«
»Paolo, so lass mich um Himmels willen mit dem Mann hier sprechen!« Der Goldschmied hob den Finger, um etwas zu sagen, aber ich schnitt ihm das Wort ab. »Der Haken ist, dass Sie für die Arbeit nur höchstens acht Wochen Zeit haben – bis zum Fest der heiligen Radegundis, Mitte des Erntemonats.«
Der Goldschmied breitete die Arme aus und machte eine halbe Körperdrehung, die seinen engen Laden umfasste. »Herr, Sie wissen doch, dass Sie sich hier bei einem jüdischen Goldschmied befinden?«
»Habe ich gegen eines Ihrer Gebote verstoßen? Tut mir Leid,
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