Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
Vom Netzwerk:
Verantwortung bis zur Sorge, ob meine erwachsenen Kinder diesen kleinen Kerl an meiner Seite akzeptieren würden, und endete schließlich in einer heißen Aufwallung der Liebe. Paolo sah zu mir hoch und lächelte, und ich lächelte zurück.
    » Muss ich viel üben?«
    Ich nickte. Er nickte mit. »Die Frau Mutter sagt es jedenfalls«, erklärte er mit Grabesstimme.
    »Deine Frau Mutter will nur das Beste für dich.«
    Er seufzte; es wäre auch überraschend gewesen, wenn er meine Ansicht über Janas Enthusiasmus bezüglich diverser Übungsaufgaben zur Buchführung eines Handelsunternehmens geteilt hätte.
    Wann würde Jana bemerken, dass der Ring fehlte? Sie war im Allgemeinen eher sorglos mit ihrem Schmuck, und meistens vergaß sie ohnehin, ihn anzulegen. Andererseits waren die Stücke, die sie besaß, in der Regel wertvoll. Schon ihr Vater hatte sein Geld nur für Qualität ausgegeben, und Jana war in dieser Hinsicht seine hundertprozentige Tochter. Ob sie ihn aus Angst vor Verlust oder aus schierem Pragmatismus in der Truhe ließ, war mir jedoch nicht ganz klar. Manchmal ertappte ich sie dabei, wiesie durch die Schatullen und Beutel forschte und das eine oder andere Stück mit einem Ausruf des Erstaunens in die Höhe hob: Sieh mal, das hab ich ja auch noch! Die Chancen standen gut, dass sie den Diebstahl nicht bemerkte.
    »Haben wir immer noch unser Geheimnis, mein Sohn?«
    Paolo legte zwei Finger an die Lippen, küsste die Fingerspitzen und wedelte dann mit todernstem Gesicht damit vor seinem Herzen herum. Die Geste war mir so vertraut, dass ich auflachte. Paolo starrte mir ins Gesicht und lachte dann auch.
    »Heißt das: Ja?«
    »So sicher wie der Sarg von Wladyslaw dem Ellenlangen, so fest wie die Stadtmauer von Krakau und so lang, bis dem Teufel der Arsch zufriert.«
    »Was hab ich da gehört?«
    »Ich habe … ich habe …«
    »Wo hast du denn das aufgeschnappt, Paolo?«
    »Nirgends, Herr Vater.«
    »Nirgends, das ist: die Pferdeställe, hab ich Recht?«
    Er ließ den Kopf hängen, aber der schiefe Blick, den ich empfing, verriet, dass seine Demut nicht ganz der Wahrheit entsprach und seine momentane Begeisterung über die drastische Ausdrucksweise der Stallknechte jedem möglichen Gewissensbiss darüber haushoch überlegen war.
    »Du musst aufpassen, was du …«
    »Wir gehen ja gar nicht zum Florianstor!«
    »Nein, ich habe doch gesagt …«
    »Wohin gehen wir dann, Herr Vater?«
    Wir trabten über den Marktplatz, an der langen Nordwestflanke der Tuchhallen entlang, die mit ihren Flankenbauten und Seitenhallen über den Platz hingestreckt lagen wie eine flache, ungestalte Kathedrale des Gottes Mammon, am leeren Pranger vorbei, um das Rathaus herum. Der hohe Rathausturm warf seinen Abendschatten über die Tuchhallen; die Kirche des heiligen Adalbert am Südende des Platzes lag in einem goldenenSonnenkeil. Den Blick auf die Kirche und die Große und Kleine Waage davor rahmte der Galgen ein, im Augenblick nicht mehr als ein Gerüst, wie für den gleich beginnenden Bau eines Tores, auf einem gemauerten Podest. Der Henker hatte die Leiter mitgenommen, die drei Stempel des Galgens waren leer, und allenfalls die Kerben am Querbalken, die die Seile eingesägt hatten, zeugten davon, dass dies kein Bauwerk ohne Funktion war. Krakau besaß einen weiteren, aufwendig gemauerten Galgen außerhalb der Stadtmauer auf einem Hügel für die schweren Verbrecher; sein kleinerer Vetter hinter dem Rathaus diente den kleineren Missetätern als Tor zur letzten Reise. Im Gegensatz zum großen Galgen nahm man die Erhängten vom kleinen Galgen nach kurzer Zeit ab und verscharrte sie; das tägliche Geschäft um die Tuchhallen herum vertrug sich schlecht mit dem Geruch.
    Ich deutete an der Sankt-Adalbert-Kirche vorbei die lange Vorstadtgasse entlang. Der schroffe Wawelhügel blockte das Gassenende und ragte über dem Turm des Vorstadttors auf, violett und düster im Abendschatten.
    »Wir gehen zum König?«, fragte Paolo voller Ehrfurcht.
    »Mein Sohn, dein Vater hat den Hintern viel zu weit unten, um einfach so zu König Kasimir marschieren zu können.«
    »Onkel Mojzesz kann es.«
    »Onkel Mojzesz sorgt auch dafür, dass der König beim Weintrinken eine Goldvergiftung bekommen kann anstatt Tonbrösel zwischen die Zähne.« Ich hob die Hand wie mit einem unsichtbaren Becher darin zum Trunk.
    »König Kasimir ist vergiftet?«, staunte Paolo.
    »Nein, natürlich nicht. Allenfalls sein Vorkoster.«
    »Onkel Mojzesz hat König Kasimirs

Weitere Kostenlose Bücher