Der Sohn des Tuchhändlers
Stuckverzierungen in mattes Blau und das Goldrot der Backsteine in die Farbe von geronnenem Blut. Der Schatten, der die stickige Hitze noch verstärkte anstatt sie abzuschwächen, wanderte weiter, eine Hand, die vor die Sonne gehalten wurde, ein dunkler Fleck, der über die Hausdächer kroch, als würde er etwas suchen. Der Kegel einer Laterne, mit der man des Nachts seinen Weg durch das dunkle Haus sucht, nur das Gegenteil davon – eine Laterne der Finsternis, die in der sonnenbeschienenen Stadt nach der Dunkelheit forschte. Er wanderte weiter und verging. Er schien die Düsternis in unseren Herzen nicht bemerkt zu haben, sonst wäre er bei uns geblieben. Ich bildete mir ein, ganz fern etwas grollen zu hören. »Ein Unwetter kommt«, sagte ich, weil ich es jetzt auch glaubte.
Jana begann erneut zu weinen, leise diesmal, nicht mit dem fassungslosen Entsetzen, das ihre Angst um Paolo akzentuiert hatte, sondern wie aus Hoffnungslosigkeit und Resignation. Ich griff hinüber und nahm ihre Hand.
»Ich habe so viele Vorbereitungen getroffen, um dich auf angemessene Weise zu fragen«, begann ich. »Ich wollte das Richtige tun, und ich wollte es auf die richtige Art und Weise tun. Deshalb war mir auch so daran gelegen, wenigstens Sabina und Daniel hier zu haben. Paolos Abschied war nur ein Teil der ganzen Angelegenheit … auch wichtig, auch etwas, was auf die richtige Art und Weise zu tun war, aber bei weitem nicht so wichtig wie, dich zu fragen, ob du … meine Frau werden willst. Darum habe ich mich auch nicht um den schief gegangenen Handel in Landshut gekümmert. Ich wollte nicht, dass er mich so sehr beschäftigte, dass ich keine Zeit mehr für meine Pläne gehabt hätte.«
Jana entzog sich meinem Griff, dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und weinte hemmungslos. Sie stieß etwas hervor, das ich nicht verstand. Mein Körper war ein einziger Schmerz, von dem nur ein kleiner Teil – meine Füße – wirklich physisch bedingt war. Der größere Teil
der schlimmere Teil
saß in meinem Herzen, wenn ich an Jana und Paolo dachte, in meiner Kehle, als ich weiterzusprechen versuchte, und in meiner Seele, und von ihr aß er und aß. Die Fassade der Allerheiligenkirche glühte längst wieder im Abendlicht, doch für mich war der Schatten immer noch da.
»Ich wollte es nicht hier fragen, nicht so und nicht in so einer Situation. Jetzt … jetzt weiß nicht, ob die Frage überhaupt noch Sinn macht.«
Sie zögerte lange, bevor sie die Hände von ihrem Gesicht nahm. Sie zog die Knie an und ließ die Stirn darauf sinken. Ohne mich anzusehen flüsterte sie: »Diese Frage kannst nur du beantworten.«
»Nein«, sagte ich. »Nein, das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Jana, machen wir uns nichts vor. Es steht mehr zwischen uns als das Missverständnis mit deinem Ring oder ein Sack voll Gulden, der in Landshut in Rauch aufgegangen ist.«
»Paolo …«
»Nein, auch nicht Paolo.«
»Ja«, sagte sie schließlich. »Ja.«
Ich schwieg. Ich konnte ihrem Blick nicht begegnen. Als sie den Kopf so weit drehte, dass sie zu mir herüberschauen konnte, starrte ich geradeaus. Aus der Kirche hinter uns hörte ich jetzt einen gedämpften Choral: Kyrie eléison. Christe eléison.
Herr, erbarme dich. Christus, erbarme dich.
»Willst du mich jetzt nicht mehr fragen?«, erkundigte sie sich mit kleiner Stimme.
Ich erkannte, dass sie damit eine unsichtbare Hand nach mirausstreckte. Ich stellte mir vor, wie ich sie ergriff und sagte: Jana, ich liebe dich von ganzem Herzen. Willst du meine Frau werden?
»Ich habe das Gefühl dafür verloren, ob es Sinn machen würde, dich zu fragen«, erklärte ich stattdessen.
Sie sagte lange Zeit nichts. Ich spürte ihre Blicke unverwandt auf meinem Profil. Schließlich wandte ich mich ihr zu und starrte in ihre Augen. Der Widerschein des Sonnenlichts auf der Allerheiligenkirche verwandelte ihr Grau in eine Art goldenes Grün. Plötzlich fiel mir auf, dass ich schon sehr lange nicht mehr so intensiv in ihre Augen geblickt hatte. Früher hatte ich jeden ihrer Farbwechsel mit Faszination verfolgt; etwas in ihrer natürlichen grauen Farbe befähigte sie dazu, sich mit jedem Licht zu verändern – grün, wenn sie ins Feuer blickte, blau unter dem freien Himmel. Wenn ich neben ihr aufwachte und sie schon länger wach gelegen war und mich betrachtet hatte und ein Sonnenstrahl durch die Fensterläden in ihr Gesicht fiel, waren sie golden, so golden wie ihr Haar, über das sie sich immer ärgerte, weil
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