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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Kälte, Lähmung und den hohlen Gebärden des Lebens geführt hatte? Eine große Klaue packte mich und weidete mich aus, während ich in Janas schmutziges, gerötetes Gesicht starrte. Sollte ich erneut der Frau, die ich liebte, die Hände für den letzten langen Schlaf falten und dann das Tuch über das Gesicht ziehen … zusehen, wie die Klageweiber es mit ein paar groben Stichen festnähten … und Abschied nehmen? Und nicht nur von ihr …
    Das Kind damals, bei dessen Geburt es selbst und seine Mutter umgekommen waren, war nicht mehr als ein erstaunlich schweres Bündel in einem fleckigen Tuch gewesen. Ich hatte keine Augen für es gehabt, weil ich nur Maria gesehen hatte. Würde es dieses Mal anders sein … würde da ein zweites Totenbrett sein mit einer verhüllten Gestalt … klein und schmal … ein weiterer Abschied, der zu nehmen war?
    Ich starrte in Janas Gesicht, aber in Wahrheit sah ich in die Finsternis. Der Schmerz in meinem Inneren war grausam. Ich wusste, wenn ich ihn nicht zurückdrängte, dann hatte ich keine Chance, der Lähmung zu entkommen, die wie damals nur darauf wartete, die Macht über meine Seele zu bekommen. Ich würde sie fühlen, noch bevor tatsächlich etwas passiert war; ich würde in sie hineinfallen, und sie würde mich mit sich nehmen an einen Ort, an dem die Geräusche der Welt nur gedämpft und sinnverzerrt an meinen Geist gelangten – und was immer mein Teil an der Aufgabe sein mochte, Paolo heil zurückzubringen, ich würde ihn nicht erfüllen können, und alles wäre verloren.
    Es wird nicht passieren. Alles wird gut werden. Paolo ist vielleicht schon zu Hause.
    … nimm unser Flehen gnädig auf!
    Die Wahrheit ist, geliebte Jana, dass es nicht dich umbringen wird, wenn Paolo etwas zustößt. Die Wahrheit ist … dass es mich erledigen wird.
    »Ich habe deinen Ring nicht versetzt«, sagte ich.
    Janas Kopf ruckte nach oben. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. »Was hast du gesagt?«
    »Ich habe deinen Ring nicht versetzt.«
    »Peter, das ist mir jetzt so gleichgültig, dass …«
    »Nein«, sagte ich. »Es ist nicht gleichgültig. Salomon Schlom ist ein Pfandleiher, weil das Dekret des Königs den Juden nichts anderes gestattet als das Pfandgeschäft oder die Anfertigung von Hüten. Im wahren Leben ist Meister Schlom ein Goldschmied.«
    Sie sah mich unverwandt an. Am Zeigefinger ihrer linkenHand funkelte ein breiter goldener Reif mit Ziselierungen, am kleinen Finger ein schmales Band wie ein Zopf aus Altsilber. Weiteren Schmuck trug sie nicht und die Ringe wahrscheinlich nur deshalb, weil sie sie auf die Schnelle nicht hatte abstreifen können. Meine eigene Geheimiskrämerei kam mir plötzlich so sinnlos und lächerlich vor, dass mich allein der Gedanke daran schmerzte. Ich dachte an den Brief, den ich bereits vorbereitet hatte und den ich ihr an Paolos Abschiedsfeier hatte überreichen wollen
    Lachen über meine die launige Rede, die ich hatte komponieren wollen; Janas große Augen; ihre Frage: Was steht da drin?
    Alles das, was ich zu schüchtern zu sagen bin, meine Liebe. Großes Gelächter … hahaha …
    genau in dem Augenblick, an dem sich der Gedanke in ihr Herz zu stehlen begann, dass der Junge nun unser Haus verlassen würde, und wenn er auch nur fünfhundert Schritt zu einem guten Freund ging, so war es doch unbestreitbar, dass er ging … und dass er nie wieder als der kleine Kerl zurückkehren würde, der er kurz zuvor noch gewesen war. Der Gedanke, dass das Leben auch die besten Freunde trennt und sogar Kinder und Eltern … wenn er sich auf ihrem Gesicht zu zeigen begann, dann hätte ich den Brief überreicht.
    … ich habe die Angst jetzt überwunden, Liebste, ich habe mir von König Kasimir die Erlaubnis geholt, und mit diesem Brief möchte ich dich bitten, meine Frau zu werden.
    Wie hätte ihr Gesicht dann wohl ausgesehen? Was hätte ich dafür gegeben, es zu sehen …
    »Ich wollte den Ring als Vorlage nehmen, um einen Trauring anfertigen zu lassen«, sagte ich. »Paolo ist eingeweiht; er hat ihn für mich aus deiner Schatulle stibitzt. Er dachte, weil du ihn nie trägst, würde es dir nicht auffallen, wenn er ein paar Tage fehlte.«
    »Ich habe ihn nicht getragen, weil er zu wertvoll war – und weil er nicht passte …«
    »Ja«, sagte ich, »eine kleine Schwierigkeit, die ich nicht eingeplant hatte.«
    »Einen Trauring ?«
    Ich nickte. Ein Schatten fiel auf einmal über die Fassade der Allerheiligenkirche gegenüber und verwandelte die weißen

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