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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Vorratskellern, in versteckten Gemächern auf den Trockenspeichern, wo immer sie sich auch halbwegs sicher fühlten und was immer sie an Verstecken für eine Zeit wie der konstruiert hatten, die jetzt gekommen schien – die Bewohner der jüdischen Häuser verbargen sich darin und beteten um Rettung. Schließlich standen Daniel und der Knecht vor dem Haus des Mannes, der Rebecca Fiszel aufgenommen hatte. Daniel bedachte nicht, dass seine maßlose Wut ihm jede Chance nahm, dass der Hausherr ihm zugehört oder ihn gar eingelassen hätte; sein Macht-auf-oder-ich-trete-die-Tür-ein und sein Ich-weiß-dass-ihr-euch-da-drin-versteckt klangen im Hausinneren nach mörderischen Drohungen und nicht nach der Verzweiflung eines Mannes, der versuchte, seinen kleinen Bruder zu finden. Er ahnte nicht, dasser trotz allem eine Seele in diesem Haus erreichte: Rebecca Fiszel, die in allem Schmerz um das Verschwinden Mojzesz’ plötzlich verstand, dass noch jemand verschollen war, der ihrem Herzen fast so teuer wie ihr Ehemann war.
    Der Anführer der berittenen Wache, deren Angehörige das Vertrauen des Rats so weit besaßen, dass sie ihre unberittenen Kollegen in Kleparz bewachen durften, bekam Besuch von einer kleinen Abordnung von Krakauern. Diese eröffneten ihm, dass der Rat sich feige (oder wenigstens ratlos) im Rathausturm versteckte und dass die Verhältnisse in der Stadt so waren, dass sie nach einer rigorosen Änderung verlangten. Die Zeit dafür war mehr als reif. Auf welche Seite würde sich die Wache schlagen? Der Wachführer dachte intensiv nach, während er vor dem Lagergebäude stand, in dem berittene und unberittene Wache in schöner Eintracht hockte. Er betrachtete den Himmel, der sich von seiner Warte aus gesehen hinter Krakau auftürmte, zuckend und blitzend und grollend und der nicht anders konnte, als noch in dieser Nacht auf die Stadt hinabzustürzen. Er hatte das Gefühl, dass er auf der Seite der Bittsteller stand, aber was immer er befahl (er hatte keine Zweifel, dass seine Männer ihm folgen würden), würde Auswirkungen haben, die es zu bedenken galt. Das Unwetter würde vielleicht genügend Wasser über den Gassen ausgießen, um das Blut wegzuwaschen, das zwangsweise vergossen würde; und weggewaschen musste es werden, wenn die Stadt danach wieder eine Einheit sein wollte. Der Wachführer wusste, dass ihm die Zeit zum Nachdenken davonlief; er stand ganz still und betrachtete das Ungeheuer, das sich hinter den Türmen der Stadt aufrichtete, und horchte und schnupperte und versuchte, zu einem Schluss zu kommen.
    Samuel ben Lemel, vielleicht der Verursacher der ganzen Situation, auf jeden Fall aber ein Agent, den entschlossenere Verbrecher als er für ihre Zwecke eingesetzt hatten wie Hefe, die man unter den Teig bringt, um ihn zum Gären zu veranlassen – Samuel ben Lemel hockte in seinem Versteck und lauschtedem Gepolter, das von oben herunterdrang. In seinem Versteck war es dunkel, war es vorher schon gewesen und schien es jetzt umso mehr, wo das letzte Tageslicht verschluckt worden war von der Wolkenwand im Westen … von der Samuel im Übrigen nichts wusste. Hätte er es getan, er hätte die Panik verspürt, die er seit seinen Kindertagen verspürte, wenn ein Unwetter nahte und er nirgendwo eine der Wetterkerzen finden konnte, deren Gebrauch seine Großmutter ihm für diese Situationen dringend ans Herz gelegt hatte. Das stetige Rollen der großen Steinkugeln am Himmel erreichte ihn nicht; die beiden gewaltigen Donnerschläge hatten ihn aus dem Schlaf geweckt und wurden einem halb erinnerten Traum zugeschrieben; die immer hektischer über den Westhimmel züngelnden Blitze sah er nicht (sein Versteck besaß keine Außenwand und somit auch keine Fensteröffnung); das Haus, in dem er sich befand, war zu massiv, um die Windstöße zu spüren. Samuel hörte lediglich das Gepolter über seinem Kopf und fand, dass es sich nach hektischem Hin- und Hergerenne anhörte. Er konnte sich nicht denken, was es bedeutete; das Unwissen machte ihn nervös, und er hasste es, nervös zu sein. Er war allein in der Dunkelheit und allein mit sich und seinen Gedanken, und das war ein weiterer Umstand, den er hasste. Er wusste um eine Beschäftigung, die ihn von der Nervosität und von seinen eigenen Gedanken ablenken konnte, wenigstens für eine Weile. Danach pflegte er kurz Unrast zu empfinden, aber danach war danach, und das Unwohlsein war jetzt. Samuel nestelte die Bänder auf, die seine Hose an der Bruche festhielten, schob

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