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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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gesamten Haushalt hierher gereist. Ich fragte mich, wie lange Stoß zum nächsten Nachttopf brauchen würde, wenn er erfuhr, dass Fiszel ausgerechnet mit einem deutschen Kaufmann als Begleiter vor seiner Tür aufkreuzte. Das Haus war mir schon auf dem Weg zum Goldschmied aufgefallen – was kein Wunder war, denn es lag nur höchstens zwei Steinwürfe davon entfernt.
    Der Meister öffnete uns selbst die Tür. Dass er es war, bezweifelte ich nicht einen Moment. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen, aber die Beschreibung seines Gesichts hatte in so vielen Variationen so viele Monate lang so viele Münder gefüllt (und überfließen lassen), dass ich ihn im Dunkeln allein mit dem Tastsinn erkannt hätte. Er war der Beweis dafür, dass der Schuster die schlechtesten Schuhe hat – und der Bildschnitzer seinen Figuren größere Aufmerksamkeit zukommen lässt als seinem eigenen Äußeren. Irgendjemand hatte sein Stirnhaar geschnitten, als es ihm in die Augen zu hängen begann, und die Prozedur als so lästig empfunden, dass er sichergestellt hatte, sie so schnell nicht wieder vornehmen zu müssen: Ein paar Fransen ganz weit oben standen struppig ab und verliehen seiner Physiognomie eine noch höhere Stirn als jede künstlerisch übertriebene Madonna sie aufwies. Sein Schnurrbart ragte an beiden Mundwinkeln nach außen und unten, steif wie Stroh vom ständigen Zwirbeln; sein Kinnbart war viel zu lang und buschig und nicht weniger steif als die Oberlippenhaare. Mit seinem ungepflegten Äußeren und seinem mageren Gesicht wirkte er wie einer, der einem höchstens bis zum Gürtel geht, weil ihn die Entbehrung nicht größer hat werden lassen. Ich war erstaunt festzustellen, dass er beinahe so groß war wie ich.
    »Ja so was, Herr Bernward!«, rief er laut. »Veit Stoß!«
    Er streckte eine Hand aus, die, hätte er sie an eine seiner Figuren geschnitzt, allgemeinen Unwillen erregt hätte – zu groß, zu breit, zu nervig. Ich sah meine eigene Hand in dieser Pranke verschwinden und bemühte mich, bei ihrem Druck nicht zu zucken. Stoß sprach atemlos in einer Mischung aus dem Oberdeutschen, das die besitzende Schicht Krakaus benutzte, und seinem eigenen schwäbischen Dialekt. Der Dialekt überwog.
    »Eine große Ehre, dass Sie das für mich tun! Wo es schon so spät ist!« Er spähte mit schief gelegtem Kopf in den Himmel und tat so, als sei er erstaunt über die Färbung der Wolken.
    »Keine Ursache.« Ich sah zu Mojzesz Fiszel hinüber, der mit Stoß um die Wette strahlte.
    »Kommen Sie rein, kommen Sie rein!« Er ließ meine Hand los und trat in den Eingang zurück. Sein Kopf drehte sich auf den Schultern beinahe wie der einer Eule, und er rief in das dunkle Hausinnere: »Ja so was, Bärbele, Herr Bernward ist da!«
    Mojzesz drängelte mich in den kurzen Flur des Hauses; ich trat beiseite, damit der Bankier mich nicht die steile Treppe in den Keller hinunterschob. Bärbele entpuppte sich als eine hübsche, rundliche Frau mit einer weißen, gefältelten Haube und einer rauchigen Stimme, die zu einer streng aussehenden Fürstin gepasst hätte. Sie platzte aus einer Seitentür mit einer Laterne und demselben verzweifelten Grinsen im Gesicht wie der Bildschnitzer. »Ja so was, eine Freude!« Mit etwas mehr Melodie hätte man es Gesang nennen können.
    »Bärbele, das ist Herr Bernward! Mein Weib, Herr Bernward!«
    Sie knickste und machte eine weit ausholende Armbewegung mit der Laterne, als würde sie mich bitten, weiter in das Haus vorzudringen. Ich konnte nicht an Mojzesz Fiszel vorbei und bemühte mich um ein Lächeln. Stoß’ Frau lächelte zurück. Mittlerweile waren so viele Gesichter im Raum von einem begeisterten Grinsen verzogen, dass ich Mühe hatte, meine eigenen Gesichtszüge nicht ebenso in Idiotie umschlagen zu lassen.
    »Wollen wir in die Werkstatt hinuntersteigen, Herr Bernward?«, fragte Stoß. Er drehte sich um, und ich erhaschte noch einen kurzen Blick auf ein Lächeln, das flackernd ausging und durch einen verkniffenen Ausdruck ersetzt wurde, dann kletterte der Meister die steile Treppe hinunter.
    »Das Licht, Herr Bernward!« Barbara Stoß reichte um Mojzesz herum und händigte mir die Laterne aus. Ich hatte das Gefühl, dass ihr Lächeln gleich in Schluchzen umschlagen würde, wenn ich die Laterne nicht nahm. »Wollen Sie ein Bier?«
    »Nein, danke.«
    »Gewiss nicht? Ja so was, dann lasse ich die Männer alleine mit ihren Männersachen. Ein Weib stört nur.« Sie strahlte mich an, wirbelte auf der Stelle herum

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