Der Sohn des Tuchhändlers
Kurskorrekturen einen langen Weg zu benötigen. Wenn er sich auf ein Thema konzentriert hatte, bedurfte es körperlicher Anstrengung, ihn davon abzulenken. »Worauf?«
»Sag nicht, du hast meine Bitte um eine Audienz vergessen. Ich verlasse mich auf dich.«
»Audienz?«
»Wegen Jana. Und mir. Bitte sag nicht …«
»Peter, es ist wirklich wichtig.«
»Natürlich ist es das.«
»Nein, ich meine …«
»Fünfunddreißig«, rief der Goldschmied. »Und kein Prozent weniger, oder ich will auf der Stelle tot umfallen.«
»Zweiunddreißig«, sagte ich, ohne mich umzudrehen.
»Gemacht.« Der Goldschmied hielt mir die Hand hin. »Ich brauche das Gold und die Steine so schnell wie möglich, wenn ich fertig werden soll.«
Mojzesz nahm die Hand plötzlich von meinem Arm fort und trat ein paar Schritte zurück. Ich wandte mich von dem Goldschmied ab und sah ihn an. Der Bankier hatte sein Barett wieder abgenommen und trocknete sich die Stirn damit. Seine ganze Haltung strahlte Panik und Verzweiflung aus, aber speziell diese letzte Geste, dieses verwirrte Schweißtrocknen mit dem nächstbesten Gegenstand, den er in die Faust bekommen hatte (und vermutlich gar nicht wusste, was es war), rief so laut nach Hilfe, dass ich es nicht mehr ignorieren konnte.
»In seine Werkstatt?«, fragte ich.
»Nein, in sein Haus …«
»Wo ist das?«
Er deutete die Gasse hinauf.
»Was ist mit Paolo?«
Mojzesz sah auf meinen Sohn hinab. »Möchtest du einstweilen hierbleiben und dir die Sachen ansehen, die die Leute als Pfand hergeben?«
Der Goldschmied riss protestierend den Mund auf, riskierte einen Blick in Mojzesz’ Augen und verneigte sich dann. »Eine Ehre, senior Fiszel.«
»Nein, ich möchte mit Euch gehen, Onkel Mojzesz.«
»Das steht nicht zur Debatte, Paolo. Also gut, Mojzesz, aber sag mir um Gottes willen, was los ist.«
»Nicht hier«, brummte Mojzesz.
Der Goldschmied verbeugte sich und sah aus dieser Haltung zu mir empor. »Senden Sie die Sachen am besten morgen zu mir.«
»Ich will aber mit«, sagte Paolo.
»Kannst du – wenn ich dich nachher abhole.«
»Oooooch …«
»Morgen – sonst schaffe ich es nicht rechtzeitig.«
»Peter, bitte komm jetzt mit …«
Ich warf die Hände in die Luft. »Gut, dass ich selbst nichts zu tun habe! Mojzesz, was ist jetzt mit der Audienz?«
»Ich glaube, es geht klar.«
»Willst du mir erzählen, du weißt es nicht mehr?«
Mojzesz legte zwei Finger an die Lippen, küsste die Fingerspitzen und wedelte damit vor seinem Herzen herum. »Peter, ich bin zurzeit das Auge des Sturms.«
»Was glaubst du, wie es mir geht?« Aber das sagte ich schon zu seinem Rücken. Mojzesz Fiszel entfernte sich in der festen Überzeugung, ich würde ihm folgen.
Wenn ich nicht gewusst hätte, dass man Veit Stoß quasi jeden Atemzug versilberte, hätte mich die Größe des Hauses betroffen gemacht, das er – unter beträchtlicher Anteilnahme aller, die ein Haus zu veräußern hatten – vor wenigen Jahren erstanden hatte. Es drängelte sich förmlich aus seiner Ecklage an der Vorstadtgasse und einem kleinen Durchstich, der geradewegs zur Westmauer der Stadt verlief, hervor; was daran liegen mochte, dass Stoß sämtliche Tür- und Fensterlaibungen mit weißem Stuck hatte verspachteln lassen, der vor dem braunroten Ziegelhintergrund herausstach; und an dem in der Höhe des zweiten Stocks angebrachten Erker, zu dem eine Treppe führte, die wiederum über eine schmale Tür im ersten Stock betreten werden konnte. Der Erker war wie die Fensterlaibungen mit weißem Stuck verputzt; vor seinen Fenstern lief eine Art Verblendung, die von Ferne wie eine vorgesetzte Loggia wirkte. Ich hatte die Geschichten gehört, denen zufolge Veit Stoß an seinen schlechten Tagen mit Bittstellern, Lieferanten und anderen Störenfrieden von diesem Erker aus zu konferieren pflegte … und sie, falls das Gespräch missliebig verlief, von seinen Dienstboten mit dem Inhalt diverser Nachttöpfe überschütten ließ. Wie es hieß, waren ihm die deutschen Kaufleute ganz besonders missliebig; man erzählte Geschichten über Betrügereien und Vorteilnahmen, deren Opfer er in seinen Nürnberger Jahren geworden sei, und von mindestens einem Fall, in dem er aus Wut und Verzweiflung Siegel und Unterschrift eines Händlers gefälscht hatte, der ihm seinen Lohn schuldig geblieben war. Niemand hatte beweisen können, dass es so gewesen war … aber Stoß hatte verdächtig bald darauf den Auftrag in Krakau angenommen und war mit seinem
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