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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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und stürmte in die Kammerzurück, aus der sie gekommen war. Ich sah ihr nach, dann folgte ich Mojzesz’ Wink, vorauszugehen.
    Die Werkstatt lag ein Geschoss tief unter der Oberfläche. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass das Bodenniveau in Richtung zur Mauer hin stark abfiel und das Kellergeschoss an der Rückseite des geräumigen Hauses auf dem dortigen Erdgeschossniveau liegen musste, hätte ich mich gefragt, wie Stoß seine überlebensgroßen Figuren und Modellentwürfe aus seiner Werkstatt schaffte. Auf den ersten Blick sah die Werkstatt mit ihren Dutzenden an langen Ketten im Gewölbe hängenden, flackernden Öllampen, mit ihren in einem Hufeisen gestellten Werkbänken, vor allem aber mit den Menschen, die dort standen und alle in eine Richtung starrten, wie der Versammlungsort einer Ketzersippe aus, die auf ihren Priester wartet. Dann sah ich genauer hin, und die Ketzer wurden brave Bürger, Apostel und biblische Gestalten in verschiedenen Stadien der Fertigstellung. Unter all den Figuren hätte ich beinahe die eine Gestalt übersehen, die in weniger edler Haltung auf einer der Werkbänke saß und sich mit dem Rücken an die Wand lehnte, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Beine weit gespreizt und die Füße an beiden Seiten seiner Bank herunterbaumelnd. Im Halbschatten der Öllampen erkannte ich ein hübsches Gesicht mit weichen Zügen und einer scharfen Nase, dem ein dickes Büschel schwarzen Haares in die Stirn fiel. Die Augen waren unsichtbar in den beschatteten Augenhöhlen; die vollen Lippen hätten sich im Gesicht einer Frau genauso gut gemacht und waren gelangweilt verzogen. Unter seinem offenen Wams ließ er ein vielfach gefälteltes Hemd sehen und darauf das goldene Glitzern einer Kette, die so mächtig war, dass man damit ein Ferkel zum Markt hätte zerren können. Was ich zuerst für einen Übermantel gehalten hatte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als die langen, geschlitzten Ärmel des Wamses, die sich unordentlich hinter seinem Rücken bauschten und lang genug waren, dass er vermutlich drauftrat, wenn er eine Treppe hochstieg. Die Beinlingewaren eng und aus einem schimmernden Material, in dem ich eine Mischung aus Seide und Samt vermutete; die Schuhe flach und niedrig und mit lächerlich breiten, abgerundeten Kappen. Seine Aufmachung war idiotisch genug für einen reichen Mann, der glaubt, sein Vermögen auf dem Leib tragen zu müssen, und teuer genug für einen jungen Mann, der glaubt, dass ein Charakter sich über die Kleidung adeln lässt. Ich hob die Laterne hoch, bis ihr Licht in seine Augen fiel und sie funkeln ließ. Er blickte nicht einmal hoch, um uns Neuankömmlinge in Augenschein zu nehmen; er war jung und reich. Ich warf meinen Begleitern Seitenblicke zu und ahnte, dass ich ihn hätte kennen sollen.
    »Herr Bernward«, sagte Stoß schließlich, »ich möchte Ihnen Samuel ben Lemel vorstellen.«
    Samuel ben Lemel rührte sich keinen Zoll. Schließlich wanderten seine Augen langsam herum, bis er mir einen Seitenblick zuwarf, der so leer war wie mein Magen. Er verzog den Mund zu einer halben Grimasse, wie man sie an Leuten sieht, die auf dem Weg zu einer wichtigen Beschäftigung aufgehalten werden, weil irgendein hässliches Ding ihren Pfad kreuzt.
    Stoß seufzte und starrte den jungen Mann an. Er breitete die Arme halb aus und ließ sie wieder fallen. Samuel ben Lemel nahm die Hände langsam hinter seinem Kopf hervor, schwang sich in eine aufrechte Sitzposition, schüttelte die Arme, bis sich die langen Hemdsärmel ausknäuelten, stützte die Hände auf die Tischkante und stand schließlich mit groß zur Schau gestellter Langeweile auf. Als er stand, war er der kleinste von uns vieren. Er machte eine Schnute und warf den Kopf zurück. Ich wechselte die Fackel um und streckte meine Hand aus. Er schüttelte sie mit aller gebotenen Schlaffheit.
    »Samuel ist mein Geselle«, sagte Stoß.
    »Ich weiß«, sagte ich und versuchte, dem Blick des jungen Mannes irgendeine Reaktion zu entlocken. »Und mit mir ganz Krakau. Die Nachrichten, dass er sein Handwerk ganz gut beherrscht, kann man noch auf dem Kirchhof hören.«
    Samuel sagte kein Wort. Er ließ seinen Blick an mir aufund abwandern, so als ob er erstaunt wäre, dass ich sprechen konnte.
    »Ganz gut beherrscht?«, echote Stoß. »Ja so was, das ist ja die Untertreibung der Weltgeschichte. Samuel ist ein Genie! Er ist der erste in seinem Alter, den ich je als Gesellen aufgenommen habe, er ist der Einzige, der versteht, was

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