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Der Sohn des Tuchhändlers

Der Sohn des Tuchhändlers

Titel: Der Sohn des Tuchhändlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Hirn zu brüllen begonnen hatte, als ich losgestürzt war, hinderte mich daran, einfach über den Kerl herzufallen, der Paolo gepackt hatte. Sie öffneten den Kreis, den sie um Paolo gebildet hatten, und schlossen ihn aufs Neue um uns beide. Wie lange trieben sie jetzt schon ihr Spiel, ohne dass es jemanden interessierte oder jemand es wagte, sich einzumischen? Ich hörte das Geschrei der Menge, doch als hätte uns der lockere Ring aus grinsenden jungen Männern an einen anderen Ort versetzt, kam es mir gedämpfter vor als vorhin: »Gebt-ihn-frei!«
    »Das hättest du wohl gern«, sagte einer der Studenten.
    Ich schnappte mir Paolo und nahm ihn auf den Arm.
    »Geht’s dir gut?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte er. »Vater, wer sind diese Männer?«
    »Ja, wer sind wir?«, höhnte einer, und ich wusste, dass sie hofften, ich würde das antworten, was ich gern geantwortet hätte.
    »Das sind Studenten, die wahrscheinlich alle auch einen kleinen Bruder zu Hause haben, der so alt ist wie du«, sagte ich auf Polnisch. Ich konnte sie nicht über meine Herkunft täuschen, dazu war mein Polnisch zu schlecht (aber nicht viel schlechter als ihres; wenn mich nicht alles täuschte, waren die meisten von ihnen Litauer oder Böhmen). Mein jämmerlicher Versuch, sie zum Nachdenken zu bringen, schlug ebenso fehl: Sie lachten und stießen sich gegenseitig an.
    »Wer hat mehr Angst, dein Papa oder du?«, rief einer.
    Paolo wand sich in meinem Arm, doch ich ließ ihn nicht los.
    »Mein Vater hat keine Angst!«, erklärte er aufgebracht. In seinem Ärger vergaß er, dass er ihnen auch auf Polnisch hätte antworten können – und eine bessere Aussprache gehabt hätte als sie.
    »Wie heißt dein kleiner Scheißer?«
    Ich biss die Zähne zusammen, weil ich wusste, was jetzt kam.
    »Vinzenz?«
    Ich sah das verständnislos verzerrte Gesicht des buckligen Alten vor mir, als sie ihn gefragt hatten. Sie machten wieder die Runde mit ihrem Geschrei, doch ich starrte ihrem Wortführer in die Augen und tat ihnen nicht den Gefallen, mich herumzudrehen wie der alte Mann.
    »Johannes?«
    »Ulrich?«
    Die Augen des jungen Burschen, den ich anstarrte, verengten sich.
    »Korbinian?«
    »Bei mir müsst ihr schon Ernst machen«, sagte ich leise.
    »Wie du willst«, sagte er ebenso leise und spuckte auf den Boden.
    »Lasst meinen Sohn gehen.«
    Die anderen hatten gemerkt, dass zwischen ihrem Kameraden und mir etwas geschah, was nicht der Regel entsprach. Sie stellten ihr Gegröle ein und lauschten. Paolo kämpfte aufs Neue, um meinem Griff zu entkommen. Ich ließ ihn nicht los.
    »Sie tun mir weh!«, jammerte er. »Lassen Sie mich runter!«
    »Halt den Mund, Paolo«, sagte ich. Er sah mich erschrocken an.
    »Papa, du tust mir weh …«, höhnte einer. »Papa, drück mir nicht die Gurgel platt …«
    »Wenn man sich mit Ungeziefer befasst, muss man auch an die Brut denken«, erklärte der Wortführer der Studenten.
    »Lasst ihn gehen«, sagte ich und hielt seinen Blick fest. Seine Augen flackerten wütend auf.
    »Setz ihn auf den Boden«, verlangte er.
    »Ja!«, krähte Paolo wütend.
    »Lasst ihn gehen.«
    Er breitete die Arme aus. »Na gut«, sagte er. »Du bist fett genug, dass es für zwei reicht.«
    »Vater!«, rief Paolo.
    Ich stellte ihn ab und hielt seine Hände fest. »Lauf zu deiner Mutter«, sagte ich.
    »Ja, lauf zu Mama … buhuhuuuuu!«
    »Nein.«
    »Wenn die Kerle ein paar mehr wären, würde ich deine Hilfe brauchen«, erklärte ich. »Aber so … geh einfach nach Hause.«
    Ich ließ seine Hände los und richtete mich auf. Seine Augen suchten meinen Blick. Ich erkannte, dass er sich nicht belügen ließ; und dass jetzt die Angst in ihm hochzusteigen begann.
    »Vater?«
    »Jetzt reicht’s«, befand einer der Männer neben mir. Er schnellte plötzlich nach vorn und bückte sich und streckte die Hände nach Paolo aus. Darauf hatte ich gewartet.
    Ich warf mich herum. Ich riss mein rechtes Knie hoch und traf ihn in die Rippen, als er sich nach vorn beugte … er klappte auf meinem Oberschenkel zusammen … nachgetreten! … er keuchte … ich zwang ihn zu Boden, riss seinen linken Arm hoch und umfing ihn, klammerte meine Linke in sein Wams direkt unter seinem Ohr … ich schlang meinen rechten Arm um seinen Hals und verkrallte mich in ein dickes Büschel Haar über seinem Ohr … riss ihn halb vom Boden hoch, auf den er gesunken war … er jaulte auf. Als ich hochsah, hatten sich seine Kumpane bereits auf mich zubewegt. Sie blieben ruckartig

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