Der Sohn des Verräters - 21
die Kinder haben geschrien, und mein Vater schüttelte mich und …“ Sie hielt inne, ihr Atem ging bebend, und sie versuchte sich zu beruhigen. „Ich hatte ein Schlafmittel genommen, bevor ich zu Bett ging, und ich war noch ganz verschlafen. Er hat mir nie befo hlen, dass ich Rafael und
Mikhail gegeneinander aufhetzen sollte, Kate!
Ich weiß auch nicht, ob ich es getan hätte. Aber wenn ich
darüber nachdenke, dann hat er all die Jahre nur deshalb
gewollt, dass ich Regis zu einer Neubenennung seines
designierten Erben bewege, weil er zwischen den beiden Unruhe
stiften wollte. Ich komme mir so dumm vor!“ Gisela brach
erneut in Tränen aus.
„Wieso? Der einzige Dummkopf bei der ganzen Sache scheint
mir Dom Damon zu sein. Er hat dich benutzt, Gisela, und du bist
in seine Pläne verwickelt, ohne dass dir richtig klar war, worum
es geht. Aber wenn jemandem ein Vorwurf zu machen ist, dann
Dom Damon, würde ich sagen.“ Kate konnte Giselas Hysterie
beinahe körperlich spüren, und sie war froh, dass ihr Marguerida
den Gedanken der Empathie eingegeben hatte, sonst würde sie
jetzt vielleicht selbst fürchten, den Verstand zu verlieren. Sie
wollte nur noch, dass es sofort aufhörte. Es war eine nahezu
körperliche Empfindung als würden unsichtbare Messerspitzen
sie stechen. Sie hatte auf Anhieb eine Abneigung gegen ihren
Schwiegervater gehegt, als sie ihn am Abend nach Herms
Abreise endlich kennen lernte, und war zu dem Schluss
gekommen, dass ihr Mann unter anderem deshalb die Burg
verlassen hatte, um ihm aus dem Weg zu gehen. Nun war sie
bereit, ihn vorbehaltlos zu hassen, weil er Gisela verstört und
verletzt hatte.
Das Schluchzen hörte langsam auf. Gisela wischte sich das
Gesicht mit einem ziemlich schmutzigen Taschentuch ab, dann
schüttete sie den Rest des Feuerweins hinunter. „So weit, so gut,
aber ich fühle mich trotzdem schrecklich und schuldbewusst.
Als ich vor drei Tagen sah, wie sich Mik und Rafael umarmten, habe ich mich so für die beiden gefreut. Und als Rafael zur Ratssitzung ging, von der man ihn meinetwegen jahrelang ausgeschlossen hatte, war ich glücklich. Dann musste mein verdammter Vater wieder versuchen, alles kaputtzumachen, und als es ihm nicht gelang, schlug er mir ins Gesicht.“ Sie hob die Hand und berührte vorsichtig die Schwellung. „Er hat fürchterliche Dinge zu mir gesagt, ich hätte ihn am liebsten umgebracht, Kate.“ „Es tut mir so Leid, Breda.“ Das Gefühl, angegriffen zu werden, ließ jetzt nach, und Kate fühlte sich nicht
mehr so unwohl.
„Ich hätte es tun sollen. Mikhail hätte mir wahrscheinlich
einen Orden verliehen.“ „Mag sein.“ Sie war froh, dass Gisela
ihren Vater nicht getötet hatte, auch wenn er es verdient hätte.
Sie setzte sich gegenüber von ihrer Schwägerin, strich sich das
offene Haar von der Schulter und schüttelte den Kopf. „Geht es
hier immer so … dramatisch zu?“ „O nein“, antwortete Gisela
ernst. „Manchmal passiert jahrelang überhaupt nichts.“ „Dann
haben sie sich wohl alles aufgespart, bis ich komme“, erwiderte
Katherine trocken. Sie hasste lautstarken Streit, aber sie
verstand, dass sich die gesamte Burg mitten in einer ernsten
Auseinandersetzung befand. Einen Moment lang wünschte sie
sich zurück in die kleine Wohnung, die sie mit Herm geteilt
hatte, auf jener überbevölkerten Welt, wo alle Leute sehr auf
Höflichkeit achteten, damit die Friedensbeamten sie nicht wegen
eines Zivilvergehens belangten. Oder nach Renney und dem
Geruch des Meeres. Doch das Gefühl verging, und sie blieb ein
wenig verloren zurück.
Kates Bemerkung entlockte Gisela ein prustendes Lachen. Kurz darauf kam Rosalys mit einem Tablett herein. Darauf
standen eine Kanne Tee und ein Teller mit Kuchen. Das Aroma
von Minze wehte durch den Raum und vermischte sich aufs
Angenehmste mit dem Duft des Balsamholzes im Kamin. In den
wenigen Tagen seit ihrer Ankunft hatte sich Katherine an den
Geruch alter Steine und brennenden Holzes gewöhnt, sie genoss ihn sogar. Nach all den Jahren in einem Gebäude mit Zentralheizung war ein schlichter Kamin, der sich zwar von jenen auf ihrem Heimatplaneten unterschied, aber dennoch
daran erinnerte, eine Quelle des Trostes für sie.
Katherine stand auf und begann eben den Tee einzuschenken,
als es erneut an der Tür klopfte. Sie blickte überrascht auf und
fühlte sich ein wenig belästigt. Die Leute sollten ihr nicht so
früh am Morgen Besuche abstatten, wenn sie noch im
Nachtgewand war! Das Dienstmädchen lief zur
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