Der Sohn des Verräters - 21
Tür und öffnete,
und Marguerida trat ein. Einen Moment später kam Amaury aus
der Richtung seines Zimmers und rieb sich verschlafen die
Augen.
„Was ist denn das für ein Lärm?“, fragte er seine Mutter, dann
merkte er, dass sie nicht allein waren. Er zog sich den
Morgenmantel fester um den schlanken Körper und errötete
leicht. „Mich fröstelt davon.“ „Pfeifen, Amauy. Auf Renney
nennen wir sie Schifferpfeifen, aber ich weiß nicht, wie sie hier
heißen.“ „Klingt, als würde jemand eine Katze martern“, meinte
der Junge, und als die drei Frauen über die Bemerkung lachten,
fügte er abwehrend ein „Ist doch wahr“ hinzu.
„Wir nennen sie Dudelsäcke, Amaury, und du bist nicht der
Erste, der diesen Vergleich anstellt“, erklärte Marguerida. Sie sah müde und bleich aus und trug ein Gewand in
demselben dunklen Ton wie die Kleidung, die Gisela vorhin
gebracht hatte. Es war die Farbe der Dämmerung, ein sehr
dunkles Blau mit einem Anflug von Purpur, und das erste
Kleidungsstück ohne Stickereien, das Katherine zu Gesicht
bekam.
Marguerida blickte von Kate zu Gisela und wieder zurück,
und falls es sie überraschte, die beiden zusammen anzutreffen,
war sie zu erschöpft, um eine Bemerkung darüber zu machen. Katherine fiel ein, dass Gisela erwähnt hatte, die Sitzung habe
bis spät in die Nacht gedauert. Deshalb hatte Marguerida anscheinend nicht viel Schlaf abbekommen. Damit konnte sie
immerhin umgehen. „Hier, setz dich sofort hin, Marguerida. Du siehst aus, als würdest du jeden Moment umkippen.
Rosalys hat gerade Tee gebracht, und ich bestehe darauf, dass
du welchen trinkst. Hast du schon etwas gegessen?“ Katherine
schob ihre neue Besucherin fast gewaltsam in den Sessel neben
Gisela und ihr wurde klar, dass sie es ebenso sehr wegen ihres
eigenen Wohlergehens tat als wegen Margueridas.
Wo sie bei ihren früheren Begegnungen nichts bis wenig
gefühlt hatte, verspürte sie nun einen unbestimmten Schmerz. Sie ging zum Tisch mit dem Tablett und entdeckte, dass
Amaury bereits Platz genommen hatte und einen Kuchen
mampfte.
„Ich … weiß es nicht mehr“, sagte Marguerida leise. Sie legte
die Arme auf die Stuhllehne, ihre Hände hingen schlaff an den
Gelenken. „Ich war fast die ganze Nacht wach“, fügte sie an, als
erklärte das alles. „Und ich muss dir etwas mitteilen, das dich
wahrscheinlich beunruhigen wird …“ Sie drehte den Kopf und
betrachtete Gisela kurz, und als sie den blauen Fleck auf ihrer
Wange sah, riss sie die müden Augen auf.
Marguerida erhob sich halb und streckte, auf die Sessellehne
gestützt, eine Hand in Giselas Richtung. „Wer war das?“ Ihre
eben noch kraftlose Stimme klang nun wütend. Sie bebte vor
Zorn. Dann strich sie mit den Fingern der rechten Hand über den
blauen Fleck und zuckte zusammen.
Katherine reagierte rasch, weil sie fühlte, dass Margueridas
eiserne Selbstbeherrschung nun doch an eine Grenze gelangt
war. Sie war in diesem Augenblick froh, dass sie keine weitere
Gabe als die der Empathie besaß, denn sie hätte bestimmt
gehasst, was sie jetzt in Margueridas Gedanken hätte lesen
können. Sie drückte die Erschöpfte in den Sessel zurück, beugte
sich über sie und sagte: „Du rührst dich jetzt mindestens fünf
Minuten lang nicht.“ „Du bist sehr gebieterisch, Kate“, murmelte Marguerida, fügte sich aber und ließ den Kopf nach hinten gegen die Sessellehne sinken. Sie schloss die Augen, atmete tief und langsam durch, die Hände ruhten im Schoß. Nach einigen Minuten dann fragte sie: „Wer hat dich geschlagen, Gisela?“ „Mein Vater.“ „Würde es dir viel ausmachen, wenn ich ihn umbringe?“ Gisela schaute zuerst entsetzt, dann belustigt drein, und Amaury verließ abrupt den
Raum, ihm war sichtlich unwohl.
„Nein, aber eigentlich würde ich es lieber selbst tun.“ „Ja, ich
sollte nicht so gierig sein und den ganzen Spaß allein haben
wollen. Meinst du, du könntest mir ein Bein oder einen Arm
aufheben – nur damit ich meine Wut angemessen abreagieren
kann? Wohl eher nicht. Ich glaube, hier hat jemand etwas von
Tee gesagt.“ Marguerida hatte sich wieder gefangen, und ihre
Stimme klang beinahe emotionslos. Sie hätte genauso gut über
das Wetter sprechen können statt über Mord, und Katherine war
froh, dass ihr Sohn hinausgegangen war, bevor er die letzte
Bemerkung hörte. Sie glaubte zwar nicht, das es die beiden
Frauen ernst meinten, aber völlig sicher war sie sich dessen
nicht.
Gisela lächelte dünn und nickte. „Vielleicht
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