Der Sohn des Verräters - 21
das ich hätte miterleben sollen.
Und wie viele deiner wichtigen Lebensabschnitte hat dein Vater wegen Regis verpasst?
Verdammt, das sitzt. Weißt du denn nicht, dass du mich nicht auf solch unerfreuliche Dinge hinweisen sollst, wenn ich sowieso schon wütend bin? In seinem Gedanken schwang ein humorvoller Unterton mit.
Ja, aber wie deine Mutter nicht genug betonen kann, bin ich eben nicht die richtige Frau für dich.
Nur gut, dass sie dieses Ereignis nicht mitbekommt. Und Domenic ist wohlauf und stark und von einem Selbstvertrauen beseelt, das ich ihm nie zugetraut hätte, also sollte ich mich wohl freuen. Vielleicht kommt es ja noch.
Marguerida hielt ein Lachen auf Kosten ihres Mannes zurück. Für einen Augenblick war ihr leicht ums Herz. Sie hatte ihren Erstgeborenen wieder, und welche Abenteuer er auch bestanden haben mochte, sie schienen ihm nicht geschadet zu haben. Wenn sie nicht in wenigen Stunden in einen Hinterhalt reiten müssten, wäre sie rundum zufrieden gewesen. Aber genau das mussten sie, und ihre Freude wich schnell wieder den alten Sorgen und Ängsten.
Sie nahm auf einer langen Bank an einem der Tische Platz und forderte Illona mit einer Handbewegung auf, sich neben sie zu setzen. Das Mädchen tat wie geheißen, und genau in diesem Augenblick kam Dom Gabriel hereingestampft, der sehr zu seinem Verdruss in einer der Kutschen gefahren war.
Sein Bein gestattete ihm nicht mehr, längere Zeit auf einem Pferd zu reiten, und er ärgerte sich gewaltig über diese Schwäche. Marguerida verfolgte, wie er mit raschem Blick die Gruppe vor dem Kamin in Augenschein nahm, dann kam er herüber und setzte sich neben sie. Der alte Mann hatte in diesen Tagen etwas sehr Solides und Tröstliches an sich, und sie war froh, ihn auf ihrer Seite zu haben und dass er schon so lange wieder mit Mikhail versöhnt war.
„Hör auf, dir Sorgen zu machen, Marguerida. Es nützt dir kein bisschen und ermüdet dich nur“, sagte er streng zu ihr.
Dann lächelte er, und seine Augen verschwanden beinahe in den Falten seines Gesichts. „Und jetzt stell mich bitte dieser jungen Dame hier vor, ja?“ Marguerida hatte Illona fast vergessen und merkte nun, dass die Kleine ein bisschen eingeschüchtert war von so vielen vornehmen Fremden. „Natürlich – Illona, das ist mein Schwiegervater, Dom Gabriel Lanart. Dom Gabriel, das ist Illona Rider, eine Freundin von Domenic.“ „Illona – was für ein hübscher Name. Komm, setz dich neben mich, mein Kind. Ich höre in letzter Zeit nicht mehr so gut, und ich will, dass du mir alles über dich erzählst.“ Der Alte lächelte herzlich, und zu Margueridas Überraschung grinste die junge Frau zurück. Sie spürte, wie Illonas Furcht nachzulassen begann; anscheinend fand sie Dom Gabriel nicht bedrohlich. Nun, er verstand sich auch sehr gut mit Yllana und mit Rafaels Tochter.
Illona stand auf, ging um die Bank herum und setzte sich auf Gabriels freie Seite, das schmutzige Taschentuch noch immer fest in der Hand. Marguerida brauchte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass das Mädchen froh war, ein wenig Abstand von ihr zu gewinnen. Sie seufzte. Wie viel einfacher war ihr Leben doch gewesen, als sie nur Ivor Davidsons treue Assistentin war. Für einen kurzen Moment verweilten ihre Gedanken schwelgerisch bei diesem Abschnitt ihrer Vergangenheit.
Dann trugen die Bediensteten Schalen mit Essen herein, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Sie hatte trotz aller Sorgen ordentlich Appetit bekommen, und es stimmte, was Dom Gabriel sagte. Marguerida schwang die langen Beine über die Bank und griff grimmig lächelnd nach einem Humpen Bier, Was die Zukunft anging, konnte sie nichts weiter tun, als sich ihr zu stellen – aber das hatte noch Zeit.
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Lew Alton lief in der Eingangshalle von Burg Comyn auf und ab, seine Stiefel hallten auf dem Steinboden. Zum ersten Mal seit Jahren wünschte er sich einen großen Becher Feuerwein oder dass er bereits betrunken wäre. Er trank zwar noch gelegentlich Wein, aber ein derart starkes Verlangen danach hatte er seit Jahren nicht verspürt. Er ärgerte sich über seinen Körper, weil er ihn zu dieser Schwäche verleiten wollte, aber er war zufrieden mit sich, weil er die Signale seines Unbehagens erkannte. Später, wenn alles vorbei war, würde er sich vielleicht einen Schluck genehmigen. Er war klug genug, nicht von Alkohol benebelt in einem Zirkel arbeiten zu wollen.
Zum ersten Mal seit Jahrhunderten, vielleicht seit ihrer Erbauung, war Burg Comyn nahezu
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