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Der Sohn des Verräters - 21

Der Sohn des Verräters - 21

Titel: Der Sohn des Verräters - 21 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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leer. Es war ein unheimliches Gefühl, dass sich in der riesigen weißen Steinmasse nicht mehr die Energie der nahezu tausend Leute ballte, die das Gebäude normalerweise bewohnten. Statt Lews vielen Verwandten und ihren vertrauten Gedanken, befand sich nun ein Zirkel von Leroni aus Arilinn hier, dazu Rafe Scott, der es vorgezogen hatte zu bleiben, anstatt dem Trauerzug zur Rhu Fead zu folgen. Die Mehrzahl der Diener hatte man angewiesen, beim Aufbruch der Prozession unauffällig aus der Burg zu schlüpfen, und die Kinder waren am Vortag abgereist. Die Kinder an einen sicheren Zufluchtsort zu schaffen, war nach Lews Dafürhalten der nervenaufreibendste Teil des ganzen Plans gewesen, und er hatte keine Ruhe gehabt, bis ihn die Nachricht von ihrer wohlbehaltenen Ankunft erreichte.
    Jetzt konnte er nur noch abwarten, was passieren würde falls er nicht vorher komplett verrückt wurde! Es gab so viele veränderliche Größen, die sich unmöglich alle genau vorhersehen ließen, und Lew hoffte nur, sie hatten die wichtigsten angemessen berücksichtigt. Zweifellos mussten die Spione der Föderation in Thendara irgendetwas bemerkt haben, auch wenn alle erdenklichen Anstrengungen unt ernommen worden waren, den Anschein von Normalität entstehen zu lassen. Oder aber Lyle Belfontaine war sich seiner Sache allzu sicher – es würde zu seinem Charakter passen. Dieser hochnäsige Wicht.
    Die geistige Stille in der Burg ging Lew wirklich auf die Nerven, und er unternahm einen bewussten Versuch, sich zu beruhigen. Er würde sich im Griff haben müssen, wenn er sich bei Belfontaines Angriff dem Zirkel anschloss. Falls Belfontaine angriff. Er würde sich nicht gestatten, an seine Tochter zu denken, die in den offenen Rachen einer Gefahr ritt, in der er sie nicht beschützen konnte. Er lachte bitter. Marguerida sorgte schon lange sehr gut für sich selbst, und ihr Mann bot ihr allen Schutz, den sie brauchte. Die Alton-Gabe, die er, Lew, besaß, war zusammen mit Rafes Wissen notwendig, damit ihr Teil des Plans gelingen konnte, so wie Marguerida und Mikhail beim Angriff auf den Trauerzug gebraucht wurden. Es war viel zu spät für Zweifel. Er seufzte und fuhr sich mit den Fingern seiner einen Hand durchs Haar. Die Logik ihres Plans war einwandfrei, aber sein Verstand suchte dennoch hartnäckig nach Fehlern.
    Es war sehr kalt in der Eingangshalle, und mit seinem Aufundabrennen ermüdete er sich nur. Lew dachte an Marguerida, so wie er sie zuletzt gesehen hatte, als sie ihr Pferd bestieg.
    Ihre Haut war blass gewesen im flackernden Fackelschein des Stallhofs, und ihr Haar hatte sich in der feuchten Morgenluft in die Stirn gekräuselt. Er konnte jetzt nichts mehr für sie tun, also konnte er genauso gut aufhören, sich Sorge n zu machen.
    Es hatte nach Regen ausgesehen, und sie würde vermutlich nass werden. Hoffentlich war das bereits das Schlimmste, was ihr bevorstand. Die Burg war gespenstisch wie ein Grab ohne die übliche Geräuschkulisse – den zufälligen und unausweichlichen Gedanken der Zimmermädchen und Diener, die geschäftig ihren Pflichten nachgingen. Lew hätte in diesem Augenblick sogar den spröden und zänkischen geistigen Widerhall von Javanne Hastur begrüßt – eine Vorstellung, die ihm ein Lächeln entlockte. Sie war am Vortag nach Arilinn abgereist, zu erschöpft, als dass sie mehr als einen kraftlosen Protest zu Stande gebracht hätte. Er merkte, wie sich seine Stimmung änderte, wenn er an Javanne dachte. Der Tod ihres Bruders war ihr endlich als Realität bewusst geworden, und aller Zorn und alle Prahlerei waren in Kummer umgeschlagen. Ihre Kraft schien sie zu verlassen wie entweichende Luft, und als Lew sie zuletzt gesehen hatte, musste sie sich beim Gehen auf den Arm ihres Gatten stützen.
    Es waren turbulente Tage gewesen zuletzt; Lews Gedanken schweiften zu Francisco Ridenow. Er war dem strengen Mann mit dem hellen Haar und den eisblauen Augen nicht oft begegnet, seit dieser entgegen einer jahrhundertealten Tradition zum Kommandeur der Garde ernannt worden war. Er dachte daran, wie Francisco den Kristallsaal betreten, wie er das umherliegende Glas und die wahllos auf den Boden geschleuderten Waffen mit einem Blick aufgenommen hatte. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich gewesen, sein Geist verschlossen, aber er hatte jede einzelne Person am Tisch vorsichtig gemustert, als würde er ihren jeweiligen militärischen Wert abschätzen, und was er sah, schien ihn nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Er hatte

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