Der Sohn des Verräters - 21
füllen können, die Lorets Tod hinterlassen hatte.
Er hatte sich nie im Mindesten für seine zahlreichen Sprösslinge interessiert, und Marguerida glaubte nicht, dass er ausgerechnet jetzt damit anfangen würde.
Sie schloss Illona in die Arme und ließ das Mädchen an ihrer Brust weinen. „Niemand ist böse auf dich, liebes Kind.“ Sie strich ihm sanft über das struppige Haar. Alle Gefühle, die das Mädchen unterdrückt hatte, flossen durch Marguerida hindurch, ein ganzer Schwall von Ängsten und schockierenden Erlebnissen. Es war ein großes Durcheinander an Erinnerungen und Emotionen, und hinter allem stand die Furcht, was nun aus ihm werden sollte.
Nach einigen Minuten ließen Illonas Tränen nach, und sie stieß ein paarmal auf. Marguerida griff in ihre Gürteltasche und holte ein Taschentuch hervor. Illona wischte sich damit über die Augen und schnäuzte kräftig hinein. Sie war schon im Begriff, das verschmutzte Tuch zurückzugeben, dann errötete sie. „Jetzt hab ich Euer schönes Taschentuch versaut“, murmelte sie, zog die Schultern hoch und versuchte sich sehr klein zu machen.
„Dafür sind sie schließlich da“, antwortete Marguerida gleichmütig. „Es wird gewaschen, dann ist es wie neu.“ Sie streckte, ohne nachzudenken, die Hand aus und tätschelte das blasse Gesicht, wie sie es mit ihrer Tochter oder Alanna Alar gemacht hätte. Illona zuckte zusammen. „Ich tu dir nichts, mein Kind.“ „Es heißt, Eure Hände sind …“ „Ach, das. Nur die eine Hand“, antwortete sie und hob die Linke. „Und gefährlich ist sie nur, wenn ich es will. Du bist absolut sicher, ich verspreche es.“ Als sie Illona in den Armen hielt, hatte sie die Angst unter dem verständlichen Leid gespürt. Das Mädchen war wie ein halbwildes Tier, Marguerida war noch nie jemandem wie ihm begegnet. Illonas Laran schien sehr stark zu sein, wenn auch völlig unausgebildet. Marguerida wusste aus diesem Kontakt, dass die junge Frau entsetzliche Angst vor Türmen hatte, und glaubte, die Leroni trieben dort unaussprechliche Dinge. Domenics Mutter blickte in das schmale Gesicht, das ganz schmutzig vom Weinen war, und überlegte, was sie mit der Kleinen tun sollte. Dann warf sie sich vor, dass sie überhaupt etwas tun wollte – das Ganze lag nicht in ihrer Verantwortung.
Sollte sich Dyan um sie kümmern. Doch ein rascher Blick auf Dyan Ardais ließ sie sofort erkennen, was für ein dummer Einfall das war. Und irgendwie konnte sie sich nicht vorstellen, dass Lady Marilla in der Lage sein würde, mit diesem ungewöhnlichen Mädchen fertig zu werden. Marguerida seufzte.
Sie konnte wirklich kein zweites Pflegekind gebrauchen, aber fast als hätte sich die Aldaran-Gabe wieder manifestiert, sah sie voraus, dass sie wahrscheinlich bald eines haben würde.
„Domenic sagte, Ihr seid nett“, brachte das Mädchen rau hervor, „aber ich dachte, das sagt er eben so als Sohn. Ich hab’s ihm eigentlich nicht geglaubt. Aber vielleicht seid Ihr ja wirklich nett und sperrt mich nicht ein und zwingt mich …“ Marguerida wartete, dass Illona den Satz vollendete, doch dann erkannte sie, dass es das Mädchen nicht über sich brachte, die Worte auszusprechen, die ihr auf der Seele lagen. „Niemand wird dich irgendwo einsperren.“ Seltsamerweise schien das Illona zufrieden zu stellen, denn ihre Haltung wirkte nicht mehr so verkrampft und sie schnäuzte wieder in das Taschentuch. Dann suchten ihre lebhaften grünen Augen rasch den Raum ab, bis sie Domenic zwischen seinem Vater und Herm Aldaran vor dem Kamin fanden, und ein Lächeln spielte um ihren vollen Mund. Kate stand hinter Herm, ihre Miene war nun endlich entspannt, und Robert Aldaran und Donal hielten sich nur ein kleines Stück abseits der Gruppe auf, Ersterer nachdenklich, der Friedensmann wachsam wie immer.
Marguerida folgte Illonas Blick und betrachtete das Tableau. Schnell fiel ihr Mikhails angespannte Haltung auf, und sie wusste, etwas störte ihn.
Was ist los, Mik?
Ich erleide gerade einen Eifersuchtsanfall, Caria. Schau dir Domenic an! Schau, wie er Herm ansieht, und sag mir, dass ich keinen Grund zur Eifersucht habe.
Ja, Liebster, jetzt fällt es mir auch auf. Er hat uns als Junge verlassen, und nun ist er wahrlich ein Mann und betrachtet Herm mit der Vertraulichkeit, die du nie mit ihm hattest. Es ist nur allzumenschlich, dass du dich elend fühlst.
Ja, das ist es wohl. Ich habe einfach den Eindruck, etwas sehr Wichtiges im Leben meines Sohnes verpasst zu haben, etwas,
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