Der Sohn des Verräters - 21
ist bestimmt sauber, auch wenn die Vorhänge leicht von Motten zerfressen sind.“
„Nach den Kabinenkojen der letzten Tage wird es uns wie der reinste Luxus vorkommen, Rafael. Wo hast du uns untergebracht?“ Er wollte sich jetzt unterhalten, brauchte sinnlose Geräusche, damit seine innere Anspannung nachließ.
„In der zweiten Storn-Wohnung, die abgesehen von Mittwinter seit einer Ewigkeit nicht benutzt wurde. Die vor Jahren einmal für Lauretta Lanart-Storn ausgebaut wurde. Gisela und ich bewohnen die Aldaran-Suite, und die ist wirklich nicht groß genug für eine zweite Familie.“ Er klang, als würde er sich dafür ein wenig schämen, und Herm grinste ihn nur an.
„Wer ist das, Lauretta Lanart-Storn?“, fragte Amaury.
„Sie war die Frau meines Großvaters, obwohl sie keine Blutsverwandte von mir ist“, antwortete Herm.
„Wie geht das?“
„Mein Vater war nicht ihr Sohn, Amaury.“
„Klingt kompliziert.“
Herm lachte leise ; er war froh über die Aufmunterung. „Das ist es auch. Darkovanische Stammbäume sind ziemlich schwierig und oft verwirrend, selbst für diejenigen von uns, die sie von klein auf kennen.“
„Wie kommt das, Vater?“ Amaury wirkte aufrichtig interessiert, während sie den langen Flur entlanggingen, vorbei an brennenden Lampen und ausgebleichten Wandbehängen.
Herm blickte auf seinen Stiefsohn hinab und fragte sich zum ersten Mal, ob es richtig gewesen war, den Jungen nach Darkover zu bringen. Er war ein sehr empfindsames Kind, mit dem raschen Verstand und der tiefen Intuition seiner Mutter und wer weiß was von seinem Vater. Die Spannung zwischen seinen Eltern hatte ihm Angst und Sorge bereitet, auch wenn er es ziemlich gut verbarg. Er versuchte, beschwichtigend zu wirken, so wie Herm selbst es vor langer Zeit bei seinem Vater gemacht hatte. Welchen Platz konnte der Junge hier finden?
Herm war zu müde, um darüber nachzudenken. „Darkover hat nicht viele Einwohner, daher haben die Familien der einzelnen Domänen wie die Altons oder die Aldarans und die niedrigeren Familien wie die Lanarts und die Storns seit Jahrhunderten untereinander geheiratet. Wenn man weit genug zurückgeht, ist jeder mit jedem verwandt. Rafael hier, zum Beispiel, ist von der Seite seines Vaters ein Lanart, aber ich habe keine Ahnung, wie er mit Lauretta verwandt sein könnte“
„Genauso wenig wie ich“, warf Rafael ein und grinste leichthin. „Aber Gisela würde es wissen. Sie kennt sich gut aus in solchen Dingen.“
„Du erstaunst mich, denn das Letzte, was ich meiner Schwester zugetraut hätte, ist Interesse an Ahnenforschung“, antwortete Herm. „Als ich Darkover verließ, war sie noch ein Mädchen, und ihre einzigen Beschäftigungen schienen Jagen, terranische Romane und neue Kleider zu sein, sooft sie Vater welche abbetteln konnte.“
„Das hat sich nicht geändert“, gab Rafael zu, „aber sie ist zu intelligent, um sich derart zu beschränken. Sie arbeitet seit Jahren an einem Buch über Schach, und was ich davon gesehen habe, klingt sehr gut. Und sie dürfte so ziemlich jedes Buch im Burgarchiv gelesen haben.“
„Meine Schwester schreibt Bücher? Ich staune!“
„Sie sagt, es verhindere, dass sie sich langweilt, denn Kinder hüten sei überhaupt nicht nach ihrem Geschmack.“
„Wie viele sind es denn inzwischen? Ich habe den Überblick verloren.“
„Da wären einmal Caleb und Rakhal, ihre Kinder aus erster Ehe, dann unsere Tochter Casilde und unsere Söhne Gabriel und Damon. Rakhal ist in Arilinn und beabsichtigt, dort auch zu bleiben, Casilde wird demnächst dorthin gehen. Ich hoffe, sie gibt diese verrückte Idee auf, eine Entsagende zu werden.
Ein Jammer, dass Margueridas Freundin Rafaella so attraktiv ist und die Entsagenden so romantisch wirken lässt. Sie wird schon noch klüger werden, denn es kann kein angenehmes Leben sein. Außerdem ist Vater sein viel schwerer, als ich dachte. „Und die Jungen sind eben Jungen, und ich hab genug zu tun, sie von allzu viel Unfug abzuhalten.“
„Und Caleb?“
Rafael runzelte die Stirn. „Er ist in Nevarsin“, sagte er ein wenig abrupt. Herm verstand seinen Unwillen, darüber zu sprechen, denn Caleb musste mittlerweile über zwanzig sein, und wenn er noch in Nevarsin war, dann beabsichtigte er wahrscheinlich, ein Cristoforo -Mönch zu werden. Auch wenn die Söhne der Domänen seit Jahrhunderten von Cristoforos erzogen wurden, war es heutzutage selten, dass sich einer dieser sonderbaren Gemeinde im hohen Norden, in der Schneestadt,
Weitere Kostenlose Bücher