Der Sohn des Verräters - 21
war. Mikhail bemerkte die Röte um die Augen seines Schwiegervaters und wusste, er hatte geweint.
„Marguerida hat mich geschickt“, begann Lew, nachdem er seinen Becher halb ausgetrunken hatte.
„Bist du gekommen, um mir zu sagen, dass ich meine Trauer beiseite schieben und an meine Pflicht gegenüber Darkover denken muss?“, fuhr ihn Mikhail an, selbst überrascht von seiner Heftigkeit. Er spürte, wie er vor Verlegenheit rot wurde.
Donal regte sich an seinem Platz an der Tür und sah ihn merkwürdig an.
„Keineswegs! Von mir aus kannst du noch eine Woche im Dunkeln sitzen – ich hoffe allerdings, du tust es nicht. Aber deine Abwesenheit bereitet uns Sorge.“ Mikhail zog den Kopf ein. „Ich könnte es einfach nicht ertragen, ihn aufgebahrt zu sehen – noch nicht. Ich stehe noch unter Schock.“ „Dafür ist später noch genügend Zeit, Mikhail. Bis alle eingetroffen sind, bis die Bahre gebaut und aufgestellt ist, wird fast die ganze Woche vergehen. Und ich verstehe dich sehr gut, Als Dio schließlich starb, habe ich viele Tage gebraucht, bis ich es wirklich fassen konnte, und das obwohl ich es lange vorher wusste, obwohl Marguerida sie mir für noch einmal fünf Jahre zurückgegeben hatte. Es gab Zeiten, da verfluchte ich meine eigene Tochter dafür, denn auf diese Weise musste ich Dio zweimal verlieren. Dadurch hatte ich Zeit, mich darauf vorzubereiten – nur, ich tat nichts dergleichen! Ich glaube, irgendetwas in uns verleugnet den Tod. Wir reden uns ein, dass er sich irgendwie umgehen oder verschieben lässt, dass uns all diejenigen überleben, die wir lieben, damit wir den Verlust nicht erleiden oder uns vielleicht auch nicht eingestehen müssen, dass unsere Lieben sterblich sind. Als mein Vater auf Vainwal starb, war ich völlig fassungslos und wütend. Und so nahe, wie du Regis standest, ist es für dich wahrscheinlich fast so, als wäre dein Vater gestorben.“ Mikhail hörte die Worte, aber sie schienen nicht in seinen Verstand zu dringen. Er fühlte nur eine riesige, nicht enden wollende Betäubung. Nach einigen Augenblicken des Nachdenkens jedoch kam ihm zu Bewusstsein, dass Regis tatsächlich wie ein Vater für ihn gewesen war und nicht nur ein Onkel. Eine Zeit lang hatte ihn das von Dom Gabriel, seinem richtigen Vater, entfremdet. Und jetzt erkannte er wie nie zuvor, dass auch der Alte einmal sterben und er einen weiteren Verlust erleiden würde. Und den von Lew, der ihm gegenübersaß und Feuerwein trank. Mikhail war Margueridas Vater in den letzten fünfzehn Jahren so nahe gekommen, dass er ihm ebenso teuer war wie Regis oder Dom Gabriel.
Gleichzeitig war da noch etwas, das ihn beunruhigte. Er versuchte sich die unstete Regung, die ihn quälte, bewusst zu machen. Es war Schuldgefühl, entschied er schließlich, doch warum er sich schuldig fühlen sollte, konnte er nicht auf Anhieb sagen. Hatte er auch wirklich alles unternommen? Gab es noch etwas, das er hätte tun können, um Regis“ Leben zu verlängern?
Mikhail sah auf seine rechte Hand hinab, die nun wieder in einem Handschuh aus feinstem Leder steckte, da er keine Heiltätigkeit mehr verrichtete. Die große, glitzernde Matrix, die auf seinem Finger saß, war verborgen, aber er spürte stets ihre Gegenwart. Sie war so mächtig, dass es Momente gegeben hatte, in denen er sie am liebsten weggeworfen hätte, um diese Bürde los zu sein. Sie hatte ihn zur mächtigsten Person auf Darkover gemacht, zu mächtig für das Wohlergehen mancher Domänenherren wie Francisco Ridenow und sicherlich auch zu mächtig für den Seelenfrieden seiner Mutter Javanne. Darüber hinaus hatte sie ihn fünfzehn Jahre lang fast zu einem Gefangenen auf Burg Comyn gemacht, umgeben von Wächtern und Beobachtern, stets gewahr, dass alles, was er tat, verfolgt und beurteilt wurde. Man respektierte ihn, doch man fürchtete ihn auch, selbst sein Onkel, den er so geliebt hatte.
Und nun? Er würde Regis nachfolgen. Hatte er sich auf diesen Augenblick nicht sein ganzes Leben lang vorbereitet?
Warum fühlte es sich nur so falsch, so leer und beängstigend an? Er war nicht mehr der Junge, der einmal davon geträumt hatte, Darkover zu regieren, aber auch nicht der Mann, der dieses Ziel für eine Weile aufgegeben hatte. Er war ein anderer, und Mikhail fragte sich, ob er sich überhaupt kannte. Er wollte nicht länger darüber nachdenken. Er war zu müde für Selbsterforschung, und er hegte den Verdacht, dass er ohnehin einem bloßen Schwelgen in Selbstmitleid näher war.
Er
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