Der Sohn des Verräters - 21
betrachtete seinen ältesten, den geheimnisvollsten seiner Sprösslinge, mit großer Zuneigung. Er wusste nicht, ob es daran lag, dass der Junge in der fernen Vergangenheit empfangen wurde, oder daran, dass er mehrere Wochen im Schoß seiner Mutter verbrachte, während sie und Mikhail in den nebligen Wassern des Sees von Hali wateten, aber Domenic war wesentlich reifer, als sein Alter vermuten ließ, und außerdem unnahbar. Nein, eigentlich nicht unnahbar, es fiel ihm nur schwer, erwachsen zu werden. Manchmal war er unglaublich schüchtern, und dann wieder nahm er kein Blatt vor den Mund, wenngleich er nie die Kühnheit seines Bruder Rhodri an den Tag legte.
Istvana Ridenow, die ihn als Erste geprüft hatte, behauptete, er besitze ein einzigartiges Laran , eines, das sie nicht zu ihrer Zufriedenheit bestimmen konnte. Er verfügte natürlich über die Alton-Gabe des erzwungenen Rapports, sie war genauso ausgeprägt wie bei seiner Mutter, aber da war noch etwas anderes. Mikhail fragte sich gelegentlich, ob Domenic vielleicht die lebende Matrix der Hasturs besaß, aber Istvana meinte, das sei es nicht. Was immer es war, es entwickelte sich auf eigene Weise, langsam und fast schmerzlich. Er zeigte eine Scheu in Gegenwart anderer Leute mit Ausnahme seiner Base Alanna, die ihn zu einem stillen und reservierten Jungen machte.
Katherine sah Domenic interessiert an. „Dem stimme ich zu, aber ich würde gern deine Gedanken dazu hören.“ Was rede ich denn da? Ich kann seine Gedanken gar nicht hören, weil ich keine Telepathin bin, aber er hört wahrscheinlich meine, auch wenn Marguerida meinte … zur Hölle mit Herm, weil er mich nicht vorgewarnt hat! Und was ist mit Terese?
Wird mein kleines Mädchen einmal eine Hellseherin oder eine andere Art Hexe, so wie Urgroßmutter Lila angeblich eine war? Bei Nanas Geschichten über sie bekam ich jedes Mal eine Gänsehaut, und jetzt bin ich hier auf einem Planeten, wo manche Leute die Fähigkeit besitzen, in meine Gedanken einzudringen, wann immer sie wollen, und ich kann nicht feststellen, wer es kann und wer nicht. Auch wenn ich nichts zu verbergen habe, das ist untragbar! Diese Gisela würde ich ja schon gern wissen lassen, was ich denke, aber wahrscheinlich hat sie gerade so viel Skrupel, dass sie nicht schnüffelt, wenn ich von Herzen wünschte, sie tue es! Ich muss wirklich versuchen, logischer zu denken – in einer Sekunde fühle ich mich nackt in diesem Raum, und in der nächsten erwarte ich, dass diese komischen Leute meine Gedanken hören. Was dieser Mann neben Gisela wohl gerade sagt? Was es auch sei, sie sieht nicht sehr glücklich darüber aus – geschieht ihr recht, dieser Schlange! Sie hat uns absichtlich in Verlegenheit bringen wollen!
Domenic dachte wortlos über ihre Frage nach, als suchte er nach der besten Annäherung an das Thema. Zur Zeit wirkte er oft mürrisch, bevor er ohne Grund plötzlich beißende Bemerkungen von sich gab, die seine Eltern überraschten. Mikhail erinnerte sich an seine eigene Jugend und wusste, das war normal. Immerhin überlegte er, bevor er sprach, anders als Rhodri, der stets sofort sagte, was ihm in den Sinn kam, ohne an die Folgen zu denken. Mikhail liebte beide, aber er wusste, dass er Rhodri ein klein wenig bevorzugte, weil Domenic gar so undurchsichtig und distanziert war.
„Ich habe Großvater Lew zugehört. Und nachgedacht. Es scheint mir, die Terraner sind gesprungen, bevor sie geschaut haben.“ Domenic runzelte die Stirn, bevor er fortfuhr. „Großvater sagt, seine Fehler kamen hauptsächlich davon, dass er handelte, bevor er überlegt hatte, was passieren könnte, und dass die Föderation genau das jetzt auch getan hat.“ Er sah über den Tisch hinweg zu Lew, um festzustellen, ob er etwas Unglückliches gesagt hatte, aber Lew löffelte nur schweigend seine Suppe.
„Bist du nicht ein bisschen zu jung, um dir den Kopf über Politik und ihre Folgen zu zerbrechen?“ Katherine wirkte belustigt und gleichzeitig aufrichtig interessiert. Sie fühlte sich eindeutig wohl in Gesellschaft des Jungen. Mikhail merkte, dass Domenic anfing, auf ihre Freundlichkeit anzusprechen, die übliche Zurückhaltung abzulegen und sich sogar zu amüsieren.
„Ich bin fünfzehn, und ich habe mein ganzes Leben lang über Politik nachgedacht, jedenfalls kommt es mir so vor.“ Er schenkte Katherine ein bezauberndes Lächeln, was er selten tat, dann fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar, wobei er unbewusst seinen Vater imitierte. Domenics Haar
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