Der Sohn des Wolfs
den Schnee berührte, und warf sich eifrig ins Geschirr. Die andern folgten seinem Beispiel. Die Stränge strafften sich, die Schlitten schossen vorwärts, und die Männer klammerten sich an den Steuerstangen fest und zogen hastig die Füße hoch, damit sie nicht unter die Kufen kamen. Die Müdigkeit des Tages war wie weggeblasen, und sie feuerten die Hunde durch Zurufe an. In rasendem Galopp sausten sie durch die zunehmende Dunkelheit.
»Hü! Hü!« schrien die Männer abwechselnd, wenn ihre Schlitten vom Wege abkamen und sich wie Boote im Winde auf die Seite legten, daß sie nur auf einer Kufe liefen.
Dann kam der Endspurt, einige hundert Ellen weit, bis zu dem erleuchteten Pergamentfenster, das anheimelnd von der gemütlichen Hütte, dem prasselnden Yukonofen und den dampfenden Teetöpfen erzählte. Aber die Hütte war von Fremden besetzt. Sechzig heisere Mäuler kläfften herausfordernd im Chor, und ebensoviele zottige Körper stürzten sich Hals über Kopf auf die Hunde, die den ersten Schlitten zogen. Die Tür öffnete sich, ein Mann in dem scharlachroten Mantel der Nordwest-Polizei watete bis zu den Knien durch den Schnee zu den rasenden Tieren und übte ruhig und unparteiisch nach allen Seiten mit dem dicken Ende der Hundepeitsche Justiz. Dann drückten die Männer sich die Hände, und so wurde Malemute Kid in seiner eigenen Hütte von einem Fremden willkommen geheißen.
Stanley Prince, der ihn hätte empfangen sollen, und der die Verantwortung für den Yukonofen und den erwähnten heißen Tee trug, war durch seine Gäste ganz in Anspruch genommen. Es waren ungefähr ein Dutzend, und zwar eine so unbeschreibliche Bande, wie sie je der Königin bei der Handhabung der Gesetze und Austeilung ihrer Post behilflich gewesen waren. Obgleich sie vielen verschiedenen Rassen angehörten, hatte das gemeinsame Leben doch einen bestimmten Typ unter ihnen entwickelt, einen trockenen, kräftigen Typ mit gestählten Muskeln und sonnenverbrannten Gesichtern, lebensfroh, freimütig, helläugig und zuverlässig. Sie fuhren mit den Hunden der Königin, versetzten die Herzen ihrer Feinde in Angst und Schrecken, aßen ihre karge Kost, waren glücklich. Sie hatten das Leben kennengelernt, hatten Taten verrichtet und Romane erlebt, ohne daß sie sich dessen bewußt gewesen wären.
Sie fühlten sich vollkommen wie zu Hause. Zwei von ihnen waren in Malemute Kids Koje gekrochen, wo sie dieselben Lieder sangen, die ihre französischen Vorfahren gesungen hatten, als sie als erste nach dem Nordwesten gekommen waren und sich indianische Frauen dort genommen hatten. Bettles’ Koje hatte eine ähnliche Einquartierung erhalten, und drei oder vier lustige Voyageurs wühlten mit den Zehen in den Decken, während sie zuhörten, wie einer der andern von der Zeit erzählte, als er in der Boodlebrigade unter Wolseley bei den Kämpfen vor Karthum gedient hatte. Und als er müde war, erzählte ein Cowboy von Höfen, von Königen, hohen Herren und Damen, die er gesehen hatte, als er mit Buffalo Bill durch die Hauptstädte Europas gezogen war. In einer Ecke saßen zwei Mischlinge, alte Kameraden von einem verlorenen Feldzuge, setzten Geschirr instand und erzählten von den Tagen, als der Aufruhr im Südwesten flammte und Louis Riel König war.
Rauhe Scherze flogen hin und her, und wilde Abenteuer zu Lande und zu Wasser wurden als etwas ganz Alltägliches erzählt, dessen man sich nur irgendeines lustigen oder merkwürdigen Umstandes halber erinnerte. Prince wurde mitgerissen von diesen ungekrönten Helden, die die Geschichte des Landes hatten werden sehen, und in deren Augen das Große, Romantische nur etwas ganz Alltägliches war, das nun einmal zum Leben gehörte. Er ließ seinen kostbaren Tabak mit verschwenderischer Verachtung die Runde machen, eingerostete Erinnerungen wurden dann gelöst und auch vergessene Odysseen ihm zu Ehren wieder ins Leben gerufen.
Als die Unterhaltung schließlich stockte, die Reisenden sich die letzte Pfeife stopften und die Schlafsäcke auseinanderrollten, wandte Prince sich an seine Kameraden, um Näheres zu erfahren.
»Nun, über den Cowboy weißt du ja Bescheid«, antwortete Malemute Kid, indem er seine Mokassins aufzuschnüren begann; »und es ist nicht schwer, zu sehen, daß in den Adern seines Bettgenossen englisches Blut rollt. Die übrigen sind samt und sonders Nachkommen der Coureurs du bois mit Gott weiß wie vielerlei Blut gemischt. Die beiden, die sich an die Tür gelegt haben, sind regelrechte
Weitere Kostenlose Bücher