Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman
ihren Kindern, die immer so schlau daherreden und große Pläne entwerfen und was noch alles, dass am Ende, am Ende wieder alles ins Lot kommt? Und das kam es doch wohl, oder? Noch gestern, bei Michael Francis vor dem Haus, wurde sie von Monica nur beschimpft, und dann ging Aoife auf Monica los, nur Michael Francis war wie immer am Schlichten: Sie wüssten doch, wo Dad wäre. Aber der Ärger blieb natürlich, auch später im Haus, so ein Zerwürfnis hatte sie noch nie erlebt. Und dann, was war dann? Dann hatten sie alle die Koffer gepackt und waren nach Irland aufgebrochen.
Gretta verlegt ihre Handtasche von den Knien in den Fußraum. Sie hatte immer gewusst, es kommt alles ins Lot. Und jetzt sind sie sogar schon in Irland, und Connemara ist nicht mehr fern.
Hinter Limerick sagt Aoife: »Halt mal an, bitte.« Michael Francis fährt links ran, und sie stürzt aus dem Auto.
»Tante Evie kotzt aber echt viel«, vermerkt Hughie interessiert.
»Guck nicht hin, Schatz, das tut man nicht«, murmelt Claire. »Guck woanders hin.«
»Aber es ist doch wahr«, sagt Monica.
»Es heißt Aoife, Hughie, nicht Evie«, sagt Michael Francis. »Es wird I-fah ausgesprochen.«
»Eefie«, wiederholt Hughie folgsam und verzerrt seine Backen zu einer Monstergrimasse. Monica ist seltsam berührt. »Komisch, dass sie überhaupt noch etwas im Magen hat«, sagt er.
»Vielleicht reihert sie gleich ihren Magen aus«, meldet sich Vita, die doch angeblich geschlafen hat.
Hughie gefällt diese Vorstellung. »Ja, das wär’s. Dann muss Daddy alles wieder auflesen und ihr wieder reinschieben.«
Dann öffnet Gretta die Wagentür und tritt auf den Grasstreifen hinaus. Über ihr kurvt eine Schwalbe, wobei kurz das blauschwarze Gefieder aufscheint. Gretta geht zu ihrer Tochter, die am Boden kraucht und nach Luft ringt. Gretta kann nichts tun, außer Aoifes Haare nach hinten zu raffen.
»Danke«, sagt sie – und würgt schon wieder.
Gretta klopft ihr auf den Rücken und spürt den kalten Schweiß unter dem dünnen Material der Bluse. Mit geschlossenen Augen richtet sich Aoife auf, und Gretta reicht ihr ein Papiertaschentuch. Sie braucht sich das Spiel gar nicht länger anzusehen, die graue Gesichtsfarbe und die zitternden Finger sprechen eine deutliche Sprache. Sie gibt Aoife noch ein Taschentuch. »Willst du mir vielleicht etwas sagen, Aoife?«
Aoifes Augen klappen auf, Mutter und Tochter sehen sich an. Einen Moment lang spürt Gretta die Babys, die nie waren, nie atmen durften, fünf waren es bei ihr, ihre verhinderten Kinder. Die verhinderten Kinder verbinden sie, sie und Aoife, wie eine Figurengirlande. Die Schwalbe geht in den Sturzflug über, die Kehle rot wie ein Warnschild.
»Nein, will ich nicht«, sagt Aoife.
Gretta tritt näher. »Bitte sag mir, dass du keine Schande über dich gebracht hast.«
Dem ganzen Elend zum Trotz muss Aoife lachen.
»Was ist komisch daran? Komisch ist das nun wirklich nicht.«
Aoife ballt das Taschentuch zusammen und steckt es in die Tasche. »Mum, wir haben zufällig das Jahr 1976.«
»Und das ändert irgendetwas?«
»Ja. Man spricht nicht mehr von Schande.«
»Ich sage, was ich will. Also stimmt es? Du gibst es zu?«
»Ich gebe gar nichts zu. Und es geht dich auch gar nichts an.«
»Du lieber Gott, Kind!« Gretta fasst sich an die Stirn. »Du bist noch so jung, du bist nicht einmal verheiratet …«
»Das sagt die Richtige«, erwidert Aoife, und Gretta weicht zurück wie nach einem Schlag.
Im Auto lehnt sich Monica an Claire vorbei, um besser sehen zu können. »Worüber reden sie da?«
»Keine Ahnung«, sagt Claire, die sehr wohl etwas mitgekriegt hat und sich den Rest zusammenreimen kann: So dünn und trotzdem Fressanfälle …
»Ja, was ist da los?«, sagt Michael Francis vom Fahrersitz aus. Er hupt kurz: Na wird’s bald? Nur hat er den Effekt auf seine Kinder nicht bedacht. Denn sie krabbeln sofort nach vorn und krähen: Darf ich hupen? Bitteee, ich bin dran. Nein, ich.
»Schluss jetzt«, ruft er unter dem Gliederknäuel und den Patschhändchen, die dauernd auf die Hupe hauen. »Zurück auf euren Platz, sonst könnt ihr was erleben.« Noch einmal kriegt er Hughies Faust an den Kopf, und Vitas Ellbogen trifft seinen Hals. Zu guter Letzt wird noch, mit fieser Präzision, ein Knie in seinen Unterleib gerammt, aber sein Fluch geht im Hupen unter. Dafür erblüht der Schmerz wie eine Blume und platzt wie ein Feuerwerkskörper in seinem Hirn. Der Sicherheitsgurt und seine schwere Brut machen
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