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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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vielleicht kurz hingehen und … mir diese Mappe bringen. Und wenn du schon dabei bist, wirf doch kurz einen Blick hinein und sag mir … worum es darin geht.«
    Er runzelte die Stirn. »Ich soll zu Evelyn gehen und Geschäftsunterlagen mitnehmen?«
    »Das geht schon in Ordnung, sie hat nichts dagegen. Ich rufe sie an und sage ihr, dass du kommst. Hier sind die Schlüssel. Tust du das für mich? Bitte!«
    »Klar. Gleich heute Abend, wenn du willst.«
    Aoife drückte erleichtert seine Hand. Vielleicht wurde noch alles gut, und sie kam – einmal mehr – mit ihrer Lügengeschichte davon. »Danke, vielen Dank. Ich will nur nicht, dass sie merkt, was alles liegen geblieben ist, aber wie gesagt … es ging nicht anders. Ist das für dich okay?«
    »Klar. Ich tue alles für dich, das weißt du doch.«
    »Nimm auch diesen Schlüssel mit.« Es war ihr Wohnungsschlüssel. Doch er schüttelte den Kopf.
    »Nein, behalt ihn. So weiß ich wenigstens …«
    Sie beugte sich vor und ließ den Schlüssel in seine Hemdtasche fallen, ehe er den Satz beenden konnte.
    »So weiß ich wenigstens, dass du zurückkommst.«
    Einen kurzen Moment herrschte beklommenes Schweigen. Er blickte sie an, als wolle er sich noch einmal ihr Gesicht einprägen, während sie sich auf die Lippe biss und eilig versicherte, das stünde doch wohl außer Frage. Oder? Oder?
    Gabe senkte den Blick und betastete den Schlüssel über seiner Herzgegend. »Danke« murmelte er. »Vielleicht brauche ich ihn.« Er sah auf seine Uhr. »Jetzt musst du aber los.«
    Sie gingen an die Absperrung, und sie hielt ihn umklammert, bis sie durch die Tür ging. Sie wollte die Augen schließen, um sein Bild für immer im Kopf zu behalten. Bei zu vielen neuen Eindrücken, das wusste sie, verblassten auch immer welche, und sie hatte Angst, sie könnte etwas von ihm verlieren.
    Auf der anderen Seite drehte sie sich noch einmal um und bemerkte, dass er ihr durch die Glaswand nachblickte. Sie ging hin und presste ihr Gesicht gegen die Scheibe, bis ihre Wimpern das kühle Glas berührten. Er hauchte gegen die Scheibe, sodass sich zwischen ihnen eine Tauwolke bildete. Plötzlich malte seine Fingerspitze Linien und Bögen in diese Aura. Buchstaben! Gabe schrieb etwas auf die Scheibe, seine Abschiedsbotschaft. Vier Wörter. Oder waren es drei? Sie wusste es nicht, denn die Abstände dazwischen änderten sich dauernd, wurden mal kleiner, mal größer, wie bei einer Ziehharmonika. Es begann mit » DI «, so viel konnte sie entziffern. Und » DI « konnte Verschiedenes bedeuten. » DIE « oder » DIESE « oder » DING «. Und am Schluss war dieser Kleiderhaken von Fragezeichen. Die Frage war jetzt: Was war die Frage?
    Aoife betrachtete die Girlande aus Buchstaben und spürte bittere Tränen in sich aufsteigen. Sie sah Gabe an, und schon war auch dieses vertraute Schädelpochen wieder da, dieses Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen. Als würde sie erwürgt, so fühlte es sich an.
    Aber was konnte sie schon tun außer ihm ein gequältes Lächeln zu schenken, schelmisch den Kopf zur Seite zu legen und mit den Achseln zu zucken?
    Doch das war ein Fehler, wie sie sofort sah. Gabe trat einen Schritt von der Scheibe zurück, die allmählich wieder klar wurde. Über irgendetwas war er beleidigt, und sie musste sich beherrschen, nicht mit dem Kopf gegen die Scheibe zu schlagen und zu schreien: Bitte, das ist doch nicht meine Schuld! Ich kann doch nicht anders!
    Am Gate warteten bereits viele Leute. Sie aßen Erdnüsse, dösten oder kramten in ihrem Handgepäck. Aoife suchte ebenfalls nach etwas und zwar nach einem Kugelschreiber. Dann setzte sie sich hin und schrieb etwas auf ihren Handrücken, erst auf den linken, dann auch auf den rechten. Sie schrieb das, was sie gesehen hatte – oder das, was sie davon noch wusste. Sie hatte die aberwitzige Idee, dass sie dies später jemandem zeigen könnte, ihrem Sitznachbarn vielleicht, der ihr verriet, was es bedeutete. Einmal das DI , dann die lange Buchstabengirlande, irgendetwas mit OHNE oder AHNE und dem Fragezeichen ganz am Schluss. Sie schrieb schnell und hochkonzentriert, als könne sie damit die Zeit zurückdrehen. Also noch einmal ganz auf Anfang, wo Gabe noch nicht hinter der Scheibe steht und dieses Gesicht macht. Sie glaubt tatsächlich, das Hinschreiben könne alles ungeschehen machen.
    Tatsächlich flossen Wörter aus ihrem Stift, aber sie kamen ihr vor wie ein böser Fluch. Dann ging sie über die Gangway und nahm die Wörter mit.
    Gretta hält

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