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Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman

Titel: Der Sommer, als der Regen ausblieb - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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denn er war normalerweise ihr Beschützer und der Garant für Wahrheit und Fairness. Wenn er da war, wurde noch alles gut. Er würde Monica zum Schweigen bringen, da war sie sich sicher.
    »Was soll sie mich fragen?«, sagte er gut gelaunt und legte seinen Arm um Monica.
    Monica sah ihn an, und in ihren Augen blitzten Wut und Siegesgewissheit. »Es stimmt doch, das Aoife ein Alptraum-Baby war und der Grund, weswegen Mammy heute alle diese Pillen schluckt?«
    Seine Kindergeburtstagsmiene bekam erste Risse, und er ließ Monica los.
    »Warum sagst du so etwas?«, fragte er leise. »Was soll sie denn damit anfangen?«
    Was Michael Francis sagte, war vielleicht gut gemeint, aber keine Entgegnung, nicht einmal eine Richtigstellung. Die Tischplatte drückte in Aoifes Schenkel, und sie musste akzeptieren, was er nicht bestritt. Er hatte Monica lediglich gefragt, warum sie so etwas sagte, und nicht, dass es nicht stimmte. Und das sogar, wie sie jetzt merkte, einen gewissen Sinn ergab. Es war sozusagen das fehlende Teil in einem Puzzle, das sie seit vielen Jahren beschäftigte. Monicas Worte füllten die letzte verbliebene Leerstelle mit einer Präzision, dass ihr schlecht werden konnte.
    Ohne sich von irgendwem zu verabschieden, lief sie hinaus, quer durch das Wohnzimmer, wo Hughie, mit Schokolade im Gesicht, auf dem Sofa hopste und ihr Vater ihn am Hemdsaum festhielt, damit er nicht herunterfiel. Wo Claire gerade die Kuchenplatten zusammenräumte und sich ihre Mutter noch schnell ein Stück Torte abschnitt und etwas über das Geburtstagskind sagte. Doch das sah Aoife schon alles nicht mehr.
    Joe war der Einzige, der sich über den überstürzten Aufbruch wunderte. Allerdings, im Flur blieb sie auf einmal stehen wie ein leerer Duracell-Hase. Sie stierte auf all die Mäntel und Taschen an der Garderobe. Ein Tweedmantel mit halbaufgelösten Flechtknöpfen hing da, ein Regenmantel mit Gürtel, eine Donkeyjacke mit gefütterten Außentaschen, ein surreal kleiner Dufflecoat mit schottengemustertem Futterstoff, ein himbeerroter Langschal. Gebannt starrte sie auf die versammelten Mäntel und wusste nicht mehr, welcher ihr gehörte. Bis ihr jemand an den Ellbogen fasste, worauf sie erschrak, als habe sie jemand mit einem Elektroschocker berührt.
    Joe stand neben ihr und steckte sich eine Zigarette in den Mund. »Wo willst du hin?«, fragte er.
    Aoife schnappte sich ihren Mantel, der zu Boden gefallen war. »Nirgends«, sagte sie, während sie den Mantel anzog.
    Er blickte ihr ins Gesicht und hielt gleichzeitig sein Feuerzeug an die Zigarette. »Aoife, was war da los?«, fragte er mit der brennenden Zigarette im Mund, die bei jedem Wort gefährlich in Bewegung geriet.
    »Nichts ist los«, sagte sie und knöpfte sich den Mantel zu. »Ich weiß nicht, was du willst.«
    »Ich meine zwischen dir und deiner Schwester?« Er folgte ihr nach draußen. »Aoife, ich habe dich etwas gefragt.«
    »Ich gehe jetzt«, sagte sie, zog das Gartentor hinter sich zu und beschleunigte ihre Schritte. Am Ende der Straße angekommen drehte sie sich um. Joe stand noch immer mit seiner qualmenden Zigarette in Michael Francis’ Vorgarten und sah ihr nach.
    An der Eingangstreppe der Bücherei zögert sie erst, entschließt sich dann aber doch, weil sie schon einmal hier ist und weil sie nichts zu verlieren hat. Sie zieht ihre Umhänge tasche höher, geht die Treppe hoch und weiter durch die Schwingtüren und ist mit einem Mal von der gnädigen Kühle der Bücherei umgeben.
    Minuten später sind auch ihr Bruder und ihre Schwester da.
    Monica bleibt in der Vorhalle stehen. Nach dem grellen Sonnenlicht ist das Halbdunkel eine Erlösung, und sie braucht kurz, bis sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben. Michael Francis, dicht auf, rempelt sie an, sodass sie sich den Ellbogen an einem Broschürenständer stößt.
    »Oh«, sagt er. »Entschuldige.«
    Monica sagt nichts und reibt sich den Ellbogen, ohne ihren Bruder anzusehen. »Ich glaube ja nicht, dass etwas dabei herauskommt«, sagt sie leise, denn in Büchereien ist nur Flüstern erlaubt.
    »Mann, hier hat sich aber auch gar nichts verändert.« Michael Francis lässt seinen Blick über die breite Wendeltreppe schweifen, die nach oben in die Kinderabteilung führt. Auch der Aufzug in dem altertümlichen Metallkäfig, den sie als Kinder nie benutzen durften, ist noch da. Seine Stimme erscheint ihr zu laut. War auf der Universität und weiß nicht mal, wie man sich in einer Bücherei benimmt. »Und

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