Der Sommer, als ich schön wurde
gehörte eins. In unserem Bad gibt es zwei Becken – Jeremiah und Conrad teilten sich das eine, Steven und ich das andere.
Schon als wir klein waren, hatten die Jungen immer die Klobrille hochstehen lassen, und das war auch jetzt noch so. Für mich war das eine ständige Erinnerung daran, dass ich anders war, dass ich nicht dazugehörte. Aber kleine Veränderungen gab es doch: Früher stand immer alles unter Wasser, entweder weil sie sich gegenseitig vollgespritzt hatten oder weil sie einfach nicht aufpassten. Inzwischen rasierten sie sich und hinterließen lauter kleine Bartstoppeln in den Becken. Und die Ablage war vollgestellt mit ihren verschiedenen Deos und Rasiercremes und ihrem Rasierwasser.
Die drei hatten mehr Rasierwasser, als ich Parfüms besaß – genau genommen besaß ich nur eins, einen rosa Flakon, den mir mein Dad zu Weihnachten geschenkt hatte, als ich dreizehn war. Das Parfüm duftete nach Vanille, karamellisiertem Zucker und Zitrone. Vermutlich hatte seine Freundin, eine Doktorandin, es ausgesucht. Dad war in solchen Sachen nicht gut. Jedenfalls ließ ich mein Parfüm nicht im Bad zwischen all dem Kram der Jungen stehen. Es stand auf der Kommode in meinem Zimmer. Außerdem benutzte ich es sowieso nie. Ich wusste gar nicht, wozu ich es überhaupt mitgebracht hatte.
8
Nach dem Abendessen blieb ich unten und setzte mich aufs Sofa. Auch Conrad blieb. Er saß mir gegenüber und schlug mit gesenktem Kopf Akkorde auf seiner Gitarre an.
»Du hast also eine Freundin«, sagte ich. »Anscheinend was Ernstes.«
»Mein Bruder quatscht zu viel.« Etwa einen Monat bevor wir nach Cousins aufbrachen, hatte Jeremiah Steven angerufen. Sie hatten ziemlich ausgiebig telefoniert, und ich hatte heimlich an Stevens Tür gelauscht. Steven sagte nicht sehr viel, aber es kam mir vor wie eine ernsthafte Unterhaltung. Anschließend platzte ich in Stevens Zimmer und fragte ihn, worüber die beiden gesprochen hätten. Steven beschimpfte mich als neugierige kleine Spionin, aber schließlich erzählte er, Conrad habe eine Freundin.
»Und – wie ist sie?« Ich sah Conrad bei meiner Frage nicht an, ich fürchtete, er würde mir ansehen, wie viel es mir bedeutete.
Conrad räusperte sich. »Wir haben uns getrennt«, sagte er.
Fast blieb mir der Mund offen stehen. Mein Herz tat einen kleinen Satz. »Deine Mom hat recht, du bist wirklich ein Herzensbrecher.« Das war eigentlich als Scherz gemeint, aber wie eine Aussage hallten die Worte als Echo in meinem Kopf und in der Luft nach.
Er verzog das Gesicht. »Sie hat Schluss gemacht«, sagte er tonlos.
Dass irgendein Mädchen mit Conrad Schluss machte, konnte ich mir nicht vorstellen. Wie mochte sie wohl sein? Auf einmal stand sie mir wie eine faszinierende Person lebendig vor Augen. »Wie hieß sie?«
»Ist das nicht egal?«, fragte er mit rauer Stimme. Dann fügte er hinzu: »Aubrey. Aubrey heißt sie.«
»Und wieso hat sie mit dir Schluss gemacht?« Ich musste einfach fragen, ich war zu neugierig. Wer war dieses Mädchen? Ich stellte mir jemanden vor mit weißblondem Haar und türkisen Augen, jemanden mit oval gefeilten Nägeln und vollkommen gepflegter Nagelhaut. Ich trug meine Nägel immer kurz, erst wegen des Klavierspielens, dann, nachdem ich aufgehört hatte, aus Gewohnheit.
Conrad legte die Gitarre beiseite und starrte trübsinnig ins Leere. »Sie sagt, ich hätte mich verändert.«
»Und – hast du?«
»Ich weiß nicht. Jeder verändert sich. Du bist auch anders.«
»Inwiefern anders?«
Er zuckte mit den Schultern und griff wieder nach seiner Gitarre.
Irgendwann in der Mittelschule hatte Conrad mit der Gitarre angefangen. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn er spielte. Dann saß er da, schlug Akkorde an, hörte einem nur halb zu, war nur halb anwesend. Er summte vor sich hin und war mit den Gedanken woanders. Wir anderen waren vielleicht beim Fernsehen oder spielten Karten, und er spielte auf seiner Gitarre. Oder er hockte in seinem Zimmer und übte. Wofür, wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass es uns Zeit mit ihm nahm.
»Hör mal«, hatte er irgendwann gesagt und seinen Kopfhörer so gedehnt, dass er den einen Teil hatte und ich den anderen. Unsere Köpfe berührten sich. »Ist das nicht Wahnsinn?«
»Das« war Pearl Jam. Conrad war so glücklich und begeistert, als hätte er die Gruppe selbst entdeckt. Ich hatte noch nie von ihr gehört, aber in diesem Moment schien mir das Stück das Beste, was ich je gehört hatte. Ich zog los und kaufte mir Ten und
Weitere Kostenlose Bücher