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Der Sommer, als ich schön wurde

Der Sommer, als ich schön wurde

Titel: Der Sommer, als ich schön wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny Han
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hörte die CD ununterbrochen. Beim fünften Song, Black , kam es mir jedes Mal so vor, als wäre ich wieder zurück, als würde ich den Moment noch einmal erleben.
    Als der Sommer vorüber war und wir wieder zu Hause waren, kaufte ich mir im Musikladen die Noten und brachte mir das Stück auf dem Klavier bei. Ich dachte, irgendwann könnte ich Conrad begleiten, und wir wären so etwas wie eine Band. Das war natürlich Schwachsinn, im Sommerhaus gab es nicht einmal ein Klavier. Susannah wollte immer eins anschaffen, damit ich üben konnte, aber meine Mutter war dagegen.

9
    Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, schlich ich mich hinaus und ging eine Runde schwimmen. Ich schwamm eine Bahn nach der anderen, so lange, bis ich müde war. Wenn ich dann ins Bett ging, spürte ich dieses Zittern in den schmerzenden Muskeln, aber ich fühlte mich auch zufrieden und entspannt. Ich liebte es, mich nach dem Schwimmen in Susannahs übergroße, kornblumenblaue Badelaken zu wickeln – bis dahin hatte ich nicht einmal gewusst, dass es so riesige Badelaken überhaupt gibt. Und genauso liebte ich es, anschließend auf Zehenspitzen die Treppe hochzugehen und mich mit immer noch nassen Haaren schlafen zu legen. Ein unvergleichliches Gefühl.
    Vor zwei Sommern hat Susannah mich einmal da unten entdeckt, und manchmal ist sie dann nachts mit mir zusammen geschwommen. Den Kopf unter Wasser zog ich meine Bahnen, und auf einmal spürte ich, wie sie ins Wasser sprang und am anderen Ende des Beckens zu schwimmen begann. Wir redeten bei diesen Gelegenheiten nicht, wir schwammen einfach, aber es war ein gutes Gefühl, sie da zu wissen. Das waren auch die einzigen Male in jenem Sommer, dass ich sie ohne ihre Perücke sah.
    Wegen ihrer Chemo trug Susannah damals nämlich ständig eine Perücke. Niemand sah sie je ohne, nicht einmal meine Mutter. Susannah hatte wunderschöne Haare gehabt. Lang, karamellfarben, weich wie Zuckerwatte. Ihre Perücke kam nicht im Entferntesten dagegen an, auch wenn sie das Beste war, was man für Geld bekommen konnte, Echthaar und so. Nach der Chemo, als ihr Haar wieder wuchs, ließ sie es kurz, gerade kinnlang. Es sah gut aus, aber es war nicht mehr dasselbe. Jemand, der sie jetzt sah, machte sich keine Vorstellung davon, wie sie früher ausgesehen hatte, mit langen Haaren wie ein Teenager, wie ich.
    Am ersten Abend in diesem Sommer konnte ich nicht einschlafen. Jedes Jahr brauchte ich ein oder zwei Nächte, bis ich mich wieder an mein Bett gewöhnt hatte, obwohl ich so gut wie jeden Sommer meines Lebens in diesem Bett geschlafen hatte. Eine Weile warf ich mich hin und her, bis ich es nicht mehr aushielt. Ich stand auf, zog mir meinen Badeanzug an, den alten vom Mannschaftsschwimmen, mit goldenen Streifen und Ringerrücken, der mir kaum noch passte. Mein erstes nächtliches Schwimmen dieses Sommers.
    Wenn ich nachts allein schwamm, schien mir alles so viel klarer. Ich hörte mir selbst beim Ein- und Ausatmen zu und spürte, wie ich ruhig und stabil und stark wurde. So als könnte ich immer weiterschwimmen.
    Ich schwamm ein paarmal hin und her, dann wollte ich, als ich gerade meine vierte Bahn zog, eine Rollwende machen und stieß mit dem Bein gegen etwas Festes. Als ich auftauchte, um Luft zu holen, sah ich, dass es Conrads Bein war. Er saß am Beckenrand, rauchte eine Zigarette und baumelte mit den Beinen im Wasser. Er hatte mir die ganze Zeit zugesehen!
    Ich blieb bis zum Kinn unter Wasser – mit einem Mal war mir bewusst, dass mir mein Badeanzug zu klein war. Solange Conrad da saß, konnte ich unmöglich aus dem Wasser.
    »Seit wann rauchst du denn?«, fragte ich vorwurfsvoll. »Und überhaupt – was machst du eigentlich hier?«
    »Worauf soll ich zuerst antworten?« Er hatte wieder diesen typischen Conrad-Blick – amüsiert, herablassend –, der mich zum Wahnsinn trieb.
    Ich schwamm zu ihm hinüber und legte beide Arme auf den Rand. »Die zweite.«
    »Ich konnte nicht schlafen, da bin ich spazieren gegangen«, sagte er achselzuckend. Das war gelogen. Er war bloß zum Rauchen rausgekommen.
    »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«, wollte ich wissen.
    »Also wirklich, Belly. Du kommst doch immer nachts zum Schwimmen her.« Er zog an seiner Zigarette.
    Das wusste er, dass ich nachts schwimmen ging? Und ich hatte geglaubt, das sei mein großes Geheimnis. Meins und Susannahs. Seit wann wusste er wohl davon? Und die anderen – wussten es alle? Wieso das wichtig war, konnte ich gar nicht sagen, aber so war es nun

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