Der Sommer, als ich schön wurde
auf. »Was hat er gesagt?«
»Nicht viel. Nur dass er am Wochenende nicht kommt.«
Sie schürzte die Lippen, sagte aber nichts.
»Wo ist Susannah?«, fragte ich. »Ist sie in ihrem Zimmer?«
»Ja, aber sie fühlt sich nicht gut. Sie hat sich ein bisschen hingelegt«, sagte meine Mutter. Was so viel hieß wie: Geh nicht rauf, du würdest nur stören.
»Was ist denn los mit ihr?«
»Sie hat eine Sommergrippe«, sagte meine Mutter, ohne nachzudenken.
Meine Mutter war eine ganz schlechte Lügnerin. Susannah hatte in diesen Ferien viel Zeit in ihrem Zimmer verbracht, und sie hatte eine Traurigkeit an sich, die ganz neu an ihr war. Ich wusste, irgendetwas war im Busch. Ich wusste nur nicht genau, was.
23
Cam rief am nächsten Abend wieder an, und am Abend darauf. Wir telefonierten zweimal, bevor wir uns wieder trafen, jedes Mal vier oder fünf Stunden am Stück. Während wir miteinander sprachen, lag ich in einem der Liegestühle auf der Veranda und sah zum Mond auf. Meine Zehen zeigten zum Himmel. Ich lachte so laut, dass Jeremiah aus seinem Zimmer brüllte, ich sollte gefälligst leiser sein. Wir redeten über alles Mögliche, es war einfach toll, trotzdem habe ich mich die ganze Zeit gefragt, wann er mich denn wohl fragen würde, ob wir uns treffen könnten. Aber er tat es nicht.
Also musste ich die Sache selbst in die Hand nehmen. Ich lud ihn zu uns ein, um Videospiele zu spielen und vielleicht zu schwimmen. Ich kam mir wie eine emanzipierte Frau vor, als ich ihn anrief und einlud, so als machte ich solche Sachen dauernd. Dabei tat ich es bloß, weil ich wusste, dass niemand zu Haus sein würde. Jeremiah oder Conrad oder meine Mutter oder sogar Susannah sollten ihn noch nicht zu sehen bekommen. Erst mal gehörte er nur mir.
»Ich schwimme richtig gut, also sei nicht sauer, wenn wir um die Wette schwimmen und ich dich schlage«, sagte ich am Telefon.
Er lachte. »Freistil?«
»Egal.«
»Wieso gewinnst du so gerne?«
Darauf wusste ich keine Antwort, außer dass Gewinnen nun mal Spaß macht. Und überhaupt, wer gewinnt schon nicht gerne? Ich war mit Steven aufgewachsen und hatte jeden Sommer mit Jeremiah und Conrad verbracht, dadurch war Gewinnen immer schon wichtig gewesen, umso mehr, weil ich ein Mädchen war und keiner von mir erwartete, dass ich in irgendetwas Erste wurde. Ein Sieg ist tausendmal süßer, wenn man der Underdog ist.
Cam kam vorbei. Ich sah durch das Fenster von meinem Zimmer, wie er die Einfahrt hochfuhr. Sein Auto war dunkelblau, alt und schon ziemlich abgenutzt, ganz wie sein Kapuzenpulli. Es war genau die Art von Auto, die zu ihm passte.
Er läutete an der Tür, und ich schwebte die Stufen hinunter, um aufzumachen. »Hi«, sagte ich.
»Du trägst meinen Pulli«, sagte er und sah lächelnd zu mir herunter. Er war noch größer, als ich ihn in Erinnerung hatte.
»Ich hab mir sogar schon überlegt, ob ich ihn nicht behalte«, sagte ich, während ich ihn reinließ und die Tür hinter uns schloss. »Natürlich nicht einfach so. Wir könnten um die Wette schwimmen.«
»Aber du darfst nicht sauer sein, wenn ich dich schlage«, sagte er und zog eine Augenbraue hoch. »Das ist mein Lieblingspulli, und wenn ich gewinne, nehme ich ihn dir wieder ab.«
»Kein Problem«, antwortete ich.
Wir gingen zum Pool hinaus, durch die Verandatür und die Stufen hinunter. Schnell zog ich Shorts, Pulli und T-Shirt aus, ohne mir etwas dabei zu denken – Jeremiah und ich schwammen andauernd im Pool um die Wette. Deshalb machte es mich auch nicht verlegen, mich Cam im Bikini zu zeigen. Schließlich verbrachten wir in diesem Haus den ganzen Sommer in Badesachen.
Doch er sah schnell weg und zog auch sein T-Shirt aus. »Fertig?«, fragte er. Er stand schon am Beckenrand.
Ich ging zu ihm hinüber.
»Eine Bahn?«, fragte ich und tauchte einen Zeh ins Wasser.
»Klar«, sagte er. »Brauchst du Vorsprung?«
Ich schnaubte verächtlich. »Nein, aber du vielleicht?«
»Touché«, sagte er grinsend.
Das war das erste Mal, dass ich einen Jungen »touché« sagen hörte. Oder überhaupt jemanden. Höchstens mal meine Mutter. Doch zu ihm passte es. Er war einfach anders.
Unser erstes Wettschwimmen gewann ich locker. »Du hast mich mit Absicht gewinnen lassen«, warf ich ihm vor.
»Nein, habe ich nicht«, sagte er, aber ich wusste, das stimmte nicht. Noch nie hatte mich ein Junge gewinnen lassen, so oft wir in all diesen Sommern um die Wette geschwommen waren, weder Conrad noch Jeremiah, und ganz bestimmt nicht
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