Der Sommer, als ich schön wurde
sahen sie blau aus.«
Deswegen hatte ich es ja auch getragen. Es war mein Lieblingskleid gewesen. Ich überlegte, wo es wohl hingekommen sein mochte. Vermutlich auf den Speicher, in eine Kiste mit Wintersachen. Es war mir sowieso zu klein.
Cam sah süß aus, wie er mich so aufmerksam ansah und auf eine Reaktion wartete. Sein Gesicht war rosa angelaufen. Ich schluckte heftig und fragte: »Wieso hast du mich denn nicht angesprochen?«
Er zuckte die Achseln. »Du warst immer mit deinen Freunden zusammen. Die ganze Woche lang habe ich dich beobachtet und versucht, meinen Mut zusammenzunehmen. Ich konnte es nicht glauben, als ich dich plötzlich beim Feuerwerk gesehen habe. Ziemlich verrückt, wie?« Cam lachte, aber er hörte sich verlegen an.
»Ziemlich«, echote ich. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass er mich bemerkt haben sollte. Wer sollte denn einen Blick an mich verschwenden, wenn Taylor neben mir stand?
»Fast hätte ich mit Absicht bei meiner Catull-Rede gepatzt, um dich gewinnen zu lassen«, erinnerte sich Cam und rückte ein winziges Stückchen näher.
»Gut, dass du’s nicht gemacht hast«, sagte ich. Ich streckte eine zitternde Hand aus und legte sie ihm auf den Arm. »Ich wünschte, du wärst damals auf mich zugekommen.«
In dem Moment beugte er sich herunter und küsste mich. Ich hielt noch immer den Türgriff fest. Mein einziger Gedanke war: Ich wünschte, das wäre jetzt mein erster Kuss.
25
Als ich ins Haus kam, lief ich auf Watte und Wolken. Mein Kopf spulte alles, was ich eben erlebt hatte, immer wieder ab – bis ich mitbekam, dass meine Mutter und Susannah im Wohnzimmer stritten. Angst krallte sich in mir fest; es fühlte sich an, als legte sich eine eiserne Faust um mein Herz. Die beiden stritten sonst nie, jedenfalls nicht im Ernst. Ein einziges Mal hatte ich das bisher erlebt. Das war im letzten Sommer gewesen, als wir drei in diesem schicken Einkaufszentrum waren, das eine Stunde von Cousins entfernt lag. Es gehörte zu der Sorte, die unter freiem Himmel liegt und wo Kunden ihre handtaschengroßen Hündchen an eleganten Leinen spazieren führen. Ich hatte ein Kleid entdeckt – aus pflaumenblauem Chiffon, mit Spaghettiträgern und tiefem Dekolleté, viel zu erwachsen für mich. Ich war hingerissen. Susannah meinte, ich solle es anprobieren, nur zum Spaß, und ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Auf den ersten Blick entschied Susannah, ich müsse das Kleid unbedingt haben. Sofort schüttelte meine Mutter den Kopf. »Sie ist vierzehn! Wann soll sie so ein Kleid tragen?« Das sei völlig egal, meinte Susannah, das Kleid sei wie für mich gemacht. Ich wusste, dass wir es uns nicht leisten konnten, schließlich waren meine Eltern frisch geschieden, trotzdem bettelte ich. Mitten in der Boutique, vor allen Leuten, fingen die zwei zu streiten an. Susannah wollte mir das Kleid kaufen, aber meine Mutter erlaubte es nicht. Ich erklärte ihnen, sie sollten es vergessen, ich wolle das Kleid sowieso nicht haben. Das stimmte zwar nicht, aber ich wusste, dass meine Mutter recht hatte – ich würde es nie tragen.
Als wir nach den Ferien von Cousins zurückkamen, fand ich das Kleid in meinem Koffer, in Papier gewickelt lag es sorgsam oben auf meinen Sachen, als wäre es immer schon da gewesen. Susannah war noch einmal in den Laden gegangen und hatte es für mich gekauft. Das sah ihr ähnlich. Meine Mutter musste es irgendwann in meinem Schrank entdeckt haben, wo es auf einem Bügel hing, aber sie hat nie ein Wort darüber verloren.
Wie ich so im Flur stand und lauschte, fühlte ich mich wie die Spionin, die ich laut Steven angeblich war. Aber ich konnte nicht anders.
Susannah sagte gerade: »Laurel, ich bin schon groß, und ich möchte, dass du aufhörst, mein Leben zu managen. Wie ich lebe, ist ganz allein meine Sache.«
Ich wartete nicht erst ab, was meine Mutter antworten würde, sondern marschierte ins Wohnzimmer. »Was ist hier eigentlich los?«, sagte ich. Dabei sah ich meine Mutter an, und ich wusste, meine Frage klang nach einem Vorwurf an sie, aber das war mir egal.
»Nichts. Alles in Ordnung«, sagte meine Mutter, aber ihre Augen sahen müde und gerötet aus.
»Wieso streitet ihr dann?«
»Wir haben nicht gestritten, Liebes«, sagte Susannah. Sie strich mir mit einer Hand über die Schulter, mit einer Bewegung, als würde sie knittrige Seide glatt streichen. »Wirklich, alles ist gut.«
»So hat es sich nicht gerade angehört.«
»Es ist aber so«, meinte
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