Der Sommer, als ich schön wurde
Jeremiah, während er sich seinen halben Burger in den Mund stopfte.
Cam schluckte sein Wasser hinunter und sagte: »Weil ich aus ethischen Gründen dagegen bin, Tiere zu töten.«
Jeremiah nickte ernsthaft. »Aber Belly isst Fleisch. Darf sie dich dann küssen, mit solchen Lippen?« Danach konnte er sich nicht mehr halten vor Lachen. Susannah und meine Mutter sahen sich mit vielsagendem Lächeln an.
Ich spürte, wie mir ganz heiß wurde im Gesicht, und ich spürte Cams Anspannung. »Kannst du das mal lassen, Jeremiah?«
Cam sah kurz zu meiner Mutter hinüber und lachte unsicher. »Ich verurteile Menschen nicht, die Fleisch essen. Das ist eine ganz persönliche Entscheidung.«
Jeremiah ließ nicht locker. »Du hast also kein Problem damit, wenn sie mit ihren Lippen erst ein totes Tier berührt und dann deine – ähm – Lippen?«
Susannah lachte leise. »Jere, kannst du den armen Jungen jetzt mal in Ruhe lassen?«
»Genau, Jere, vielleicht lässt du ihn mal in Ruhe«, sagte ich und starrte Jeremiah finster an. Dabei trat ich ihn unter dem Tisch, und zwar richtig heftig. So heftig, dass er zusammenzuckte.
»Nein, das ist schon in Ordnung«, sagte Cam. »Es macht mir überhaupt nichts aus. Im Gegenteil …« Und damit zog er mich an sich und küsste mich rasch, vor allen Leuten. Es war zwar nur ein ganz flüchtiger Kuss, aber peinlich genug.
»Bitte küss Belly nicht beim Essen«, sagte Jeremiah und kicherte ein bisschen, um die Wirkung noch zu erhöhen. »Mir wird ganz schlecht.«
Meine Mutter sah ihn kopfschüttelnd an. »Belly darf küssen.« Dann richtete sie ihre Gabel auf Cam. »Aber damit hat es sich auch.«
Sie lachte laut, als hätte sie noch nie so etwas Witziges gesagt. Susannah verkniff sich mühsam ein Lächeln und sagte meiner Mutter, sie solle still sein. Ich hätte meine Mutter am liebsten umgebracht, erst sie und dann mich. »Mom, bitte. So witzig war’s nun wirklich nicht.« Und mit einem Blick auf Susannah: »Mom hat für heute genug Wein gehabt.« Ich vermied es, auch nur in die Nähe von Jeremiah zu schauen. Cams Blicken wich ich genauso aus.
Um die Wahrheit zu sagen: Außer Küssen war zwischen Cam und mir nicht viel gewesen. Er schien es nicht besonders eilig zu haben. Ganz behutsam ging er mit mir um, sehr lieb – fast schon nervös. Völlig anders, als ich es sonst bei Jungen beobachtet hatte. Letzten Sommer zum Beispiel hatte ich Jeremiah mit einem Mädchen am Strand erwischt, direkt vor unserem Haus. Es ging wirklich zur Sache, so als hätten sie echt Sex – nur dass sie dabei angezogen waren. Den restlichen Sommer über habe ich Jeremiah damit nicht in Ruhe gelassen, aber es war ihm im Grunde herzlich egal. Ich wünschte, Cam wäre es weniger egal.
»Belly, das war doch nur ein Scherz. Du weißt sehr gut, dass ich da völlig offen bin und weiß, dass du deine eigenen Erfahrungen machen musst«, sagte meine Mutter und trank einen großen Schluck Chardonnay.
Jeremiah prustete los vor Lachen. Ich stand auf und sagte: »Jetzt reicht’s. Cam und ich essen auf der Veranda weiter.« Ich schnappte mir meinen Teller und wartete, dass auch Cam aufstand.
Doch das tat er nicht. »Komm, Belly, nicht aufregen. Wir machen doch alle nur Spaß.« Er lud sich Reis und Paksoi auf seine Gabel und schob sie sich in den Mund.
»Klasse Art, Belly in Schach zu halten, Cam«, sagte Jeremiah und nickte beifällig. Er sah wirklich irgendwie beeindruckt aus.
Ich setzte mich also wieder, obwohl es mich fast umbrachte. Ich fand es furchtbar, vor allen anderen mein Gesicht zu verlieren, andererseits – wenn ich jetzt ganz allein rausging, würde niemand hinter mir herkommen, das war mir klar. Dann wäre ich nur die kleine Belly Button, die wieder einmal schmollte. So hatten sie mich genannt, als ich noch klein war – Belly Button, Bauchnabel. Steven hatte sich das ausgedacht und fand sich selbst total genial. »Mich hält keiner in Schach, Jeremiah. Und schon gar nicht Cam Cameron.«
Sofort brüllten und grölten alle los, sogar Cam selbst, und mit einem Mal war alles völlig normal, so als gehörte Cam ganz selbstverständlich dazu. Ich spürte, wie ich langsam lockerlassen konnte. Von jetzt an würde alles okay sein. Großartig, sogar. Wundervoll – ganz wie Susannah es versprochen hatte.
Nach dem Essen machten Cam und ich einen Strandspaziergang. Für mich gab – gibt – es nichts Besseres, als spätabends am Strand entlangzulaufen. Es ist ein Gefühl, als könnte man immer weiterlaufen,
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