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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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sooft ich kann, also jede Woche. Und ich werde darauf drängen, dass du Papà besuchen kannst.«
    »Können wir telefonieren?«
    »Aber natürlich«, sagte sie und drehte sich zu Großvater um. »Wie lautet deine Telefonnummer?«
    »Ich habe kein Telefon.«
    »Du hast kein Telefon?«
    »Nein.«
    Mama ging mit großen Schritten zum Auto, beugte sich hinein, griff nach ihrer Handtasche und zog das Star TAC samt Aufladegerät heraus und gab sie mir.
    Sie hängte sich ihre Tasche um und nahm meinen Kopf in beide Hände. Dann vergrub sie ihre Nase in meinen Haaren, um den Duft mitzunehmen. Ohne dem noch etwas hinzuzufügen, stieg sie in den Wagen und ließ den Motor an. Ich verfolgte, wie sie den Rückwärtsgang einlegte und hinter der Kurve verschwand, aus der noch wenige Stunden zuvor mein Großvater aufgetaucht war. Es war noch früh, die Sonne stand hoch am Westhimmel, aber die Gipfel der Berge, die das Tal umgaben, warfen immer längere Schatten auf Steine, Weiden, Häuser, Menschenwerk. Vor ihnen lagen Wälder, Felder und Hänge, die zum Meer, zur Küste, nach Genua hin abfielen. Und von Genua aus gelangte man über eine malerische Straße durch die Hügel zu den mit Blauregen bewachsenen Laubengängen einer Klinik, in der tapfere Ärzte versuchten, Leukämie zu heilen. Von den Laubengängen aus gelangte man über Treppen und Flure in ein nummeriertes, mir unbekanntes Zimmer, und hinter der Tür dieses Zimmers lag mein Vater in einem Bett, den Blick auf den Schatten gerichtet, den die Bäume auf die weißen Vorhänge warfen.
    Hätte er ebenfalls ein Handy gehabt, hätten wir uns SMS -Botschaften schicken können – aber wer weiß, vielleicht hätte er das gar nicht benutzen dürfen.
    Wie geht’s dir, Papà?
    Geht so. Und dir?
    Geht so.
    Erzähl mir einen Witz, Zeno.
    Warnhinweis auf der Verpackung eines 500 g schweren Hamburgers: »Achtung, nach dem Erhitzen ist das Produkt heiß.«
    Der war gut.
    Und jetzt du!
    Aufschrift auf der Verpackung eines Bügeleisens: Achtung, Kleidung nie während des Tragens bügeln.
    Noch einer!
    Aus Protest gegen das große Truthahnschlachten an Thanksgiving hat eine Gruppe Umweltschützer aus New Jersey lauter Truthähne fliegen lassen. Doch erst nachdem man sie aus dem Flugzeug geworfen hatte, stellte man fest, dass Truthähne nicht fliegen können.
    Klasse!
    Grausamer Umweltschutz.
    Gute Nacht, Papà.
    See you later, alligator.
    After ’while, crocodile.
    Das war eine feststehende Grußformel zwischen meinem Vater und mir, seit ich mich in der ersten Klasse bei einer Schulaufführung des Dschungelbuchs als Krokodil verkleidet hatte und im Rhythmus zu Bill Haleys See you later alligator auf der Bühne herumgehopst war.
    Hätte er ein Handy besessen, hätte ich ihm eine SMS schicken können, sobald ich ihm etwas mitteilen wollte. Außerdem hätte ich ihn mithilfe von SMS -Botschaften überzeugen können, dass ich nichts mit Micheles und Salvos Streich zu tun hatte – was deutlich leichter ist, wenn man sich nicht direkt gegenübersteht, also niemandem in die Augen schauen muss und keinen Kloß im Hals bekommt. Jeden Abend vor dem Einschlafen hätte ich mir etwas Neues ausdenken können, um meine Unschuld zu beweisen: Zum Beispiel, dass man meine Reifenspuren am Caddusu gefunden hat, die eindeutig vom Zeitpunkt des Steinwurfs stammen. Dass ein Militärsatellit, der das Pfarrhaus von Capo Galilea observiert hat, alles aufgenommen hat. Dass Michele in einem späten Anfall von Reue alles gebeichtet hat.
    Ich schaltete das Star TAC ein. Großvater stand hinter mir in der Haustür – ich spürte seinen Blick im Nacken. Er hatte meine Tasche genommen und wartete darauf, dass ich ihm folgte und er mir zeigen konnte, wo ich schlafen würde. Das Star TAC suchte nach einem Netz, also wartete ich kurz. Ich wartete länger. Und noch länger. Aber es gab kein Netz. Ich schaltete es aus und dann wieder an. Es hatte keinerlei Empfang. Ich machte ein paar Schritte in Richtung Straße: nichts. Ich ging zu den Bäumen hinüber: nichts. Wie ein Wünschelrutengänger lief ich ums Haus: wieder nichts.
    Fuchtelnd kam ich zurück und brachte nur röchelnd hervor: »Es gibt hier kein Netz.«
    Zum ersten Mal richtete ich das Wort an meinen Großvater.
    Und das waren die ersten Sätze in unserem Leben.
    »Ich weiß«, erwiderte er. »Handys haben hier keinen Empfang.«
    Im Haus roch es nach Moder, Harz und Suppe. Es war dunkel, dunkler als gedacht, weil die Mauern dick waren und das Licht, das schräg

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