Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)
Nasenscheidewand, außerdem musste ich über der Braue genäht werden. Aber ich hätte weit schlimmere Verletzungen davontragen können. Ich weiß noch, wie Luna mein Krankenzimmer betrat. Wie sich ihre Tränen mit den meinen vermischten, während wir uns fest umschlungen hielten. Wie wir nach dem Unfall beschlossen zusammenzuziehen.
Damals wusste ich noch nicht, dass sie mich bitten würde, mir in einer bestimmten Juliwoche nichts vorzunehmen. Woraufhin wir dann mit dem Auto an der Côte d’Azur entlang nach Spanien fuhren, in Barcelona übernachteten und Algeciras erreichten, von wo aus wir uns nach Ceuta, Marokko, einschifften und von dort aus nach Tétouan, Fez, Errachidia und Ouarzazate weiterreisten, um so den Tag unseres Kennenlernens zu feiern – den Tag, an dem sie Isacco und mich mit Wasser aus einer Gießkanne übergossen hatte, den »Tag des Begossenwerdens«, wie wir ihn von da an stets bezeichneten –, und zwar mitten in der Wüste, auf der Grande Dune von Merzouga. Damals wusste ich noch nicht, dass wir auf dem Rückweg einer Gruppe junger Männer in die Hände fallen würden, die uns ausrauben und zwingen würden, einen Riesenumweg nach Tanger zu machen.
Damals wussten wir noch nicht, dass ich ohne ihr Wissen zwei Flugtickets nach Alghero kaufen würde. Dass ich ihr vor dem Flughafengebäude die Augen verbinden würde und sie sie erst wieder öffnen ließe, wenn sie völlig verdattert in der Boutique ihres Lieblingsdesigners Antonio Marras stehen würde; dass ich dort auf die Knie fallen, um ihre Hand anhalten und sie im Falle eines Ja bitten würde, sich gleich das Hochzeitskleid auszusuchen. Damals wusste ich noch nicht, dass sie Ja sagen würde.
Damals wusste ich noch nichts von alledem, und auch jetzt weiß ich nicht, welche Glücksmomente die Zukunft noch für uns bereithält.
Als Lunas Mutter mich also damals einlud hereinzukommen, war ich zwar aufgeregt, aber nicht so, wie ich es hätte sein müssen, hätte ich das alles auch nur ansatzweise geahnt. Und so antwortete ich auf ihre Frage: »Willst du Zucker?«, einfach nur: »Nein, danke«, als handelte es sich um irgendeine beliebige Limonade und nicht um den Toast auf unser gemeinsames Leben. Ich nahm das Glas und setzte mich auf einen der beiden Barhocker neben dem Kühlschrank. Luna ließ sich mit ihrem auf der Sofalehne nieder. Wir tranken schweigend, während die Mutter erzählte, welche Blumen sie pflanzen würde, wenn das Haus ihr und nicht Alessandro, ihrem Schwager, gehören würde, der diesen Sommer in Spanien verbringe, und dass das Basilikum im Kräutergarten das beste überhaupt sei.
»So ein Basilikum habe ich noch nie erlebt!«, schwärmte sie.
»Magst du Ameisenhaufen?«, fragte Luna.
»Sehr«, erwiderte ich, auch wenn ich mich ehrlich gesagt stets davor geekelt und sie in Capo Galilea mit Michele und Salvo angezündet hatte.
»Ich zeig dir einen.«
Wir stellten die Gläser in die Spülmaschine und gingen hinaus.
Ben Burtt ist einer der berühmtesten Sounddesigner der Welt. Ich kenne ihn zum einen, weil er das elektronische Pfeifen des R2-D2, Gefährte des Droiden für Protokollfragen C-3 PO , in Star Wars erfunden hat, das Brummen der Laserschwerter und das asthmatische Atemgeräusch Darth Vaders, zum anderen, weil ich ihn letztes Jahr auf der Comic-Con in San Diego getroffen habe und wir zusammen mit zwei Freunden essen gegangen sind.
Dieser Ben Burtt verwendet in der zweiten Star Wars -Folge einen Effekt, den er Audio Black Hole nennt. Eine Art Soundvakuum. Ein Moment vollkommener Stille vor einer Explosion, die den anschließenden Knall in Kopf – und Ohren – des Zuhörers verstärkt. Genau das geschah in Colle Ferro, bevor der Himmel beschloss, sämtliche Schleusen zu einer Minisintflut zu öffnen.
Ich habe bereits erzählt, wie verregnet der damalige Sommer war – ein äußerst beliebtes Gesprächsthema bei den Senioren von Colle Ferro, vor allem bei den drei Alten von der Bank. Aber dann war der Sommer plötzlich wieder zur Vernunft gekommen und mit ihm eine brüllende Hitze, die die Früchte an den Zweigen zum Kochen brachte und die Insekten zu beglücken schien. Kein Lüftchen wehte, kein Laut war zu vernehmen. Alles schien wie erstarrt: die Wiesen, die Blätter, die Wäsche auf der Leine. Wirbelte ein Wagen Staub auf, sank er gleich darauf wieder zu Boden.
»Was, zum Teufel, hat die hier zu suchen?« Das waren Isaccos erste Worte, als er Luna und mich mit Chupa Chups im Mund in seinen Innenhof kommen
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