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Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition)

Titel: Der Sommer am Ende des Jahrhunderts: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Geda
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Geringsten. Ich dachte an das Mädchen und seine Haare, daran, wie sie Isacco die Stirn geboten hatte und dass sie kein bisschen so war wie die Mädchen, die ich sonst kannte. Aber sie war auch kein Junge, ganz und gar nicht. Sie war etwas anderes, einfach etwas anderes.
    Ich hatte einen seltsamen Traum. Am nächsten Morgen weckte mich das Rauschen der Dusche. Ich wartete, bis Großvater fertig war, und sprang dann aus dem Bett. Ich wusch mich sorgfältig unter den Achseln, putzte mir die Zähne und trank ein Glas Milch, woraufhin ich mit einem Apfelgeleebrot das Haus verließ. Auf der Piazza saßen die drei alten Männer auf der Bank und stritten über irgendwas. Sie hörten nicht auf, sich Vorwürfe zu machen, Gedanken zu verfolgen, die sich anschließend in Luft auflösten. Sie versuchten, mich einzubeziehen, aber ich ging ihnen aus dem Weg. Kurz darauf traf ich Signora Rosa, Isaccos Tante. Sie bezahlte gerade den Fahrer, der ihr soeben eine Lieferung Chupa Chups gebracht hatte (das entnahm ich zumindest dem Lutscherlogo auf der Tür des Lieferwagens). Ich huschte vorbei, aber sie bestand darauf, mir einen zu schenken.
    »Danke«, sagte ich. »Könnte ich vielleicht zwei haben?«
    »Und für wen ist der andere? Hoffentlich nicht für Isacco. Der hat schon mehr als genug.«
    »Nein«, erwiderte ich. »Er ist nicht für Isacco.«
    »Für deine Freundin?« Sie machte das idiotische Gesicht, das Erwachsene immer machen, wenn sie mit Kindern über gewisse Themen reden.
    Ich wollte verneinen, was schließlich der Wahrheit entsprach, hielt das aber für ein schlechtes Omen und sagte lieber gar nichts.
    Ich erreichte das Haus und umrundete es einmal, um es mir genauer anzusehen. Niemand befand sich im Garten. Mauern, Fenster und Ziegel vermittelten die Ruhe eines Ortes, an dem das Leben gerade erst erwacht. Es roch nach Bettwäsche und Kaffee. Hecken, Pergola, Rankhilfen, eine Außenlampe aus Kupfer, der Gartenschlauchwagen, ein auf der Wiese vergessener Rasensprenger, Schaufel und Rechen an der Hauswand – all das ließ auf ein arbeitsames, sorgloses Leben schließen und war von einer unterschwelligen Energie erfüllt, die sich jeden Moment in lautem Gelächter Bahn brechen konnte. Das war kein Haus, verdammt noch mal, sondern ein Werbespot: Das Paradies auf Erden, so wie es sich Marketingleute vorstellen und in dem sie wohnte.
    Und dann ihre Haare mit dieser Aura! Und ich? Tja, ich war ihr hoffnungslos verfallen. Ich setzte mich auf einen großen Stein unter den Bäumen und wartete, dass sich hinter den Fenstern etwas tat. Und bis es so weit war, drehte ich die Chupa Chups an ihrem Stiel hin und her.
    Eine halbe Stunde später tauchten die ersten Schatten hinter den Scheiben auf. Ein Fenster wurde geöffnet und angelehnt, eine Stimme übertönte das Summen der Insekten. Raissa trottete heraus, schnappte sich einen Ball, ging wieder hinein, verließ erneut das Haus und ließ den Ball dort fallen, wo sie ihn gefunden hatte. Dann scharwenzelte sie um das Auto, einen schwarzen Toyota, herum. Der Vater erschien, ein großer Mann in khakifarbener Hose und weißem Polohemd. Er stieg in den Wagen und verließ das Grundstück. Als Nächstes kam die Mutter heraus. Daher hat sie also ihre Haare!, dachte ich. Sie sah aus, wie sie Jahre später aussehen würde: stolz, humorvoll und schlimmstenfalls arrogant.
    Als Letzte trat sie aus dem Haus. Sie setzte sich in einen Liegestuhl und schloss die Augen, wandte das Gesicht der Sonne zu, wiegte den Kopf hin und her, so als hörte oder sänge sie ein Lied. Ihre Mutter brachte ihr eine Tasse, die sie austrank.
    Ich ging zum Gartentor. Sie entdeckte mich durch die Gitterstäbe, und ihre Miene verdüsterte sich. Sie stellte die Tasse ab und näherte sich mir mit schnellen Schritten.
    »Hast du nach der gestrigen Dusche die Seife vergessen?«, fragte sie.
    »Fangen wir wieder von vorne an?«
    »Ich will euch nicht mehr sehen«, sagte sie. »Weder dich noch deinen Freund. Und zwar nie wieder.«
    »Isacco hat sich benommen wie ein Idiot.«
    »Er ist ein Arschloch.«
    »Nein«, entgegnete ich. »Er ist nur etwas impulsiv. Außerdem hat uns Raissa erschreckt. Wir haben schließlich nichts Böses getan.«
    »Aha. Man lauert Leuten einfach so am Gartenzaun auf.«
    »Wir haben dich mit jemandem verwechselt. Isacco zumindest. Aber dann habe ich gesehen, dass du es nicht bist.«
    »Wer?«
    »Ein Mädchen, eines, das … egal, vergessen wir’s! Magst du einen?« Ich zeigte ihr einen Chupa

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